Sexualstrafrecht:Vergewaltigung ist keine Erotik

"Nein heißt Nein"-Initiative

Das Gesetz hat allein schon bewirkt, dass unklare Fragen diskutiert wurden.

(Foto: dpa)

Gibt es wirklich Situationen, in der eine Frau sich vergewaltigt fühlt, ein Mann aber meint, der Sex sei einvernehmlich gewesen? Warum die "Nein heißt Nein"-Debatte überfällig ist.

Von Susan Vahabzadeh

Gesetze werden gelegentlich reformiert, manchmal kommen ganz neue dazu, und dass man vorher nicht so ganz genau weiß, ob sie sich in der Praxis als tauglich erweisen, scheint nicht weiter ungewöhnlich zu sein. Als der Bundestag im vergangenen Jahr die sogenannte Mietpreisbremse verabschiedete, wurde vorher diskutiert. Aber es stand nicht in jeder Zeitung die Expertise eines Juristen darüber, dass das Gesetz sich zur Deckelung von Mieten als unbrauchbar erweisen würde. Was es dann aber tat.

Am heutigen Donnerstag soll nun der Bundestag die Verschärfung des Sexualstrafrechts beschließen - und man merkt schon an dem Ton, in dem die Debatte über diese Reform geführt wird, dass sie die Gemüter wesentlich mehr erhitzt als solch eine Lappalie wie Wuchermieten. Wird das reformierte Gesetz der gesamten Erotik den Garaus machen? Das ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil Vergewaltigung mit Erotik gar nichts zu tun hat, sondern mit dem Ausüben von Macht.

Die Reform ist ein heikles Thema. Es ist nicht einmal so, dass man sie einer bestimmten Partei zuordnen könnte, obwohl sich Justizminister Heiko Maas (SPD) in den letzten Wochen stark dafür gemacht hat, es nun doch schärfer zu formulieren als ursprünglich geplant - der Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder beispielsweise ging der bisherige Paragraf 177 nicht weit genug, das hat sie Maas schon 2014 auf einer Justizministerkonferenz vorgeworfen. Kuder ist in der CDU - und meint, die Kontroverse findet eher zwischen Männern und Frauen statt als zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Parteien. Es wird jedoch so sein, dass dieser neue Paragraf auch weibliche Vergewaltiger betrifft - denn auch das Erpressen zum Sex ist künftig ein Straftatbestand, und dem Paragrafen ist es natürlich egal, wer da wen erpresst.

Ziel des Gesetzes ist es, Vergewaltigungen leichter zu ahnden, und vor allem auch dann, wenn der Zwang nicht durch körperliche Gewalt ausgeübt wurde. In den meisten Menschenohren klingt es ganz logisch, dass eine Unwillensäußerung - ein Nein, lautes Heulen, angewidertes Geschrei - ausreichen sollte, eine Zurückweisung so deutlich zu machen, dass das Darüberhinwegsetzen justiziabel ist.

Wenn das tatsächlich bisher unklar war, dann hat das Gesetz schon viel bewirkt: einfach nur dadurch, dass solche Fragen plötzlich medial präsent waren. Und diskutiert wurden.

Die Diskussion um das neue Sexualstrafrecht erhitzt die Gemüter - und führt auf Abwege

Das neue Gesetz wird nun erstens dafür kritisiert, dass es falsche Beschuldigungen erleichtere; die Gegenseite argumentiert, die Beweislast liege weiterhin bei der Person, die vergewaltigt wurde oder genötigt - auch das wird neu geregelt, denn was alles bislang erlaubt war, hat nach den Vorfällen in Köln in der Silvesternacht viele Menschen in Deutschland nachgerade überrascht. Zweitens ist von Furcht die Rede, es werde jetzt für Männer unsicher, mit einer Frau allein zu sein. Klingt übertrieben, und erfüllt viele Frauen, die quasi dazu erzogen wurden, sich nachts auf der Straße zu fürchten, nicht notwendigerweise mit Mitleid.

Das ändert nichts daran, dass falsche Bezichtigungen und daraus resultierende Fehlurteile furchtbar sind. Es gibt sie auch jetzt schon. Es ist aber keineswegs so, als wäre der Vergewaltigungsparagraf der einzige, der sich, etwa aus Rachsucht, missbrauchen lässt. Jemanden wegen Steuerhinterziehung oder Bestechlichkeit anzuzeigen, kann auch eine Karriere beenden, ist aber weniger spektakulär. Es sorgt auch selten für Schlagzeilen, wenn ein tatsächliches Vergewaltigungsopfer vor Gericht behandelt wird, als sei es selbst schuld gewesen - Vergewaltigungsopfer verzichten meist aus Scham auf Öffentlichkeit.

Vergewaltigung ist eine Frage der Wahrnehmung

Nein heißt also Nein, sonst ist nach dieser Debatte immer noch vieles unklar; aber es ist erkennbar, wie nötig wir sie haben. Schon weil man manchmal den Eindruck bekam, das Sexualstrafrecht sei einzig und allein als Waffe zu bewerten, die der Staat Frauen in die Hand gibt, damit diese künftig jeden Mann vor Gericht zerren können, dessen Nase ihnen nicht passt. So leicht werden es die deutschen Richter böswilligen Frauen schon nicht machen - vor allem aber kann man ja über das Sexualstrafrecht nicht reden, als gebe es nur falsche Verdächtigungen, als seien Sexualdelikte eine vom Aussterben bedrohte Straftat.

Es gibt nicht einmal ein belastbares Indiz dafür, dass sie weniger werden. Eine Studie, die 2014 von der European Union Agency for Fundamental Rights veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, dass mindestens fünf Prozent der Frauen in der EU im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung wurden. Gefragt wurde nicht nach Begriffen, sondern nach Situationen, die dann für die Studie als Vergewaltigung eingeordnet wurden, sofern sie in allen Staaten strafbar waren - die Rechtslage in den Mitgliedsstaaten ist unterschiedlich, in manchen Ländern gibt es keine Vergewaltigung durch, sagen wir mal, Erpressung. Wenige sind es aber auch so nicht.

Ist es nun mit der Erotik vorbei? Im Gegenteil. Angst vor Gewalt hat beim Sex nichts zu suchen

Vergewaltigung ist, so scheint es, manchmal auch eine Frage der Wahrnehmung - wann setzt die Erpressung ein, gibt es wirklich Situationen, in der eine Frau sich vergewaltigt fühlt, ein Mann aber meint, der Sex sei einvernehmlich gewesen? Auch das kam ja in den letzten Wochen oft zur Sprache - dass es ambivalente Situationen gebe, in denen es nicht so klar sei, ob die Sexualpartnerin nun einverstanden ist oder nicht. Das klingt nun wirklich so, als gebe es noch Klärungsbedarf. Erleben Frauen das auch so?

Es ist ja überhaupt so, dass es nicht nur um ein tatsächliches Gesetz geht, sondern vor allem um ein Rechtsempfinden. Und das entsteht dadurch, dass ein Verbot diskutiert wird. Dass es kein Recht darauf gibt, nach Lust und Laune Sex mit einer Ehefrau zu haben, wäre ja im 19. Jahrhundert auch nicht der gesellschaftliche Konsens gewesen. Überhaupt sind viele gesellschaftliche Entwicklungen nur möglich geworden, weil es eine Debatte gab, oft über Jahrzehnte.

Nur durch öffentliche Diskussion kam es dazu, dass wir heute ein Umweltbewusstsein haben. Zwischen dem Busboykott von Montgomery, den Rosa Parks auslöste, weil sie nicht für einen Weißen aufstehen wollte, und dem ersten schwarzen Präsidenten liegen 53 Jahre - und eine öffentliche Diskussion. Gesellschaften verändern sich dadurch, dass sie ihren Kodex neu aushandeln. Lebhaft und unablässig. Es ist im Grunde genommen genau das, was der amerikanische Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders gerade tut: Eigentlich ist ja längst klar, dass Hillary Clinton für die Demokraten ins Rennen gehen wird - Sanders aber gibt nicht auf, weil er nur so sein Thema, soziale Gerechtigkeit, weiter in den Wahlkampf hineintragen kann.

Die Befürchtung, wir steuerten auf das Ende der Erotik zu - die ist nun aber ganz bestimmt nicht angebracht. Wenn wir uns auf Grenzen einigen, wenn wir unterschiedliche Sichtweisen diskutieren und dadurch überhaupt erst möglich machen, dass man sie berücksichtigt, schafft das nicht Unsicherheit, sondern Sicherheit - und in Sicherheit kann man sich viel freier bewegen. Und Freiheit finden Frauen meistens sehr erotisch.

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