Internet und Globalisierung:Globales Netzwerk? Monopolkapitalismus!

Internet und Globalisierung: Ausstieg: Entwurf für ein "Seasteading"-Projekt, eine außerstaatliche Siedlung im Meer, das der Internet-Investor Peter Thiel unterstützt.

Ausstieg: Entwurf für ein "Seasteading"-Projekt, eine außerstaatliche Siedlung im Meer, das der Internet-Investor Peter Thiel unterstützt.

(Foto: seasteading.org)

Das Internet galt einst als Motor für eine bessere, einige Welt - aber es wird von amerikanischen Geheimdiensten und Konzernen beherrscht. Die einzige Rettung verspricht Europa.

Von Andrian Kreye

Das Verführerische am kalifornischen Blick auf die Welt ist das Gefühl, dass die Möglichkeiten immer noch unbegrenzt sind. Im amerikanischen Westen gibt es genügend Menschen, die daran arbeiten, die Menschheit auf dem Mars anzusiedeln, Tropenkrankheiten auszurotten oder wenigstens den Berufsverkehr staufrei zu machen.

Spricht man mit ihnen, dann begegnet man Männern (eher selten auch Frauen), die aus tiefstem Herzen glauben, dass sie auserwählt sind, um diese Welt zu einer besseren zu machen. Immerhin haben sie es mit ihren Technologien und Unternehmen aus eigener Kraft zu globaler Bedeutung und zu Macht gebracht. Vor allem aber haben sie geholfen, jenes Instrument zu entwickeln, das wie kaum eines zuvor dafür geschaffen ist, die Welt zu vereinen - das Internet. Effektive Weltverbesserung ist nur der logische nächste Schritt.

In dieser Auffassung vom Internet als Katalysator einer positiven Globalisierung stecken die gesellschaftlichen Utopien und Eine-Welt-Visionen der Hippie-Bewegung. Der Übergang von der Ära der Gegenkulturen zum digitalen Zeitalter war im amerikanischen Westen fließend. Ken Keseys subkultureller Wanderzirkus der Künstlergruppe Merry Pranksters und Timothy Learys LSD-Experimente waren frühe Einflüsse der Computerwelt im Aufbruch. Intellektuelle der Sechzigerjahre wie Stewart Brand, der das Hippie-Zentralorgan "Whole Earth-Catalog" herausgab, oder der Grateful Dead-Songschreiber John Perry Barlow sind heute noch zentrale Figuren im Silicon Valley und seinen Ausläufern.

Europa ist aus dieser Perspektive ein ferner, exotischer Ort. Unter den Palmen Kaliforniens und den Föhren des pazifischen Nordwestens ist es kaum nachzuvollziehen, warum sich die Menschen der alten Welt mit ihrer viel zu niedrigen Wolkendecke und ihren modrigen Altstädten so gegen den Fortschritt stemmen. Warum sie wissenschaftlich perfektioniertes Saatgut verbieten, mit ihrem Datenschutz den finanziellen Treibstoff der digitalen Industrie verknappen wollen und nun gegen Google wegen Wettbewerbsverzerrung eine mit 2,42 Milliarden Euro historisch saftige Geldstrafe verhängten, nur weil der Konzern seine Stärken nutzte.

Besucht man die Welt des neuen Denkens, spricht man mit ihren Vertretern, kann man sich von der Euphorie leicht anstecken lassen. Das hat damit zu tun, dass man in aller Regel auf Menschen trifft, die abseits der hierarchischen Wege durch Leistung und Ideen zu Welterfolgen gekommen sind. Zudem blendet man in der Regel den jüngeren Teil der Geschichte aus, in der das Internet kein Motor der Utopien mehr ist, sondern eines radikalen Freiheitsbegriffes, der nur noch wenig mit den Menschen und sehr viel mit den neuen Strukturen zu tun hat, die diese Welt bestimmen. Was in den späten Achtzigerjahren als Instrument eines hehren Weltgeistes begann, ist längst ein Netzwerk mit doch eindeutiger Machtzentrale.

Es war im Juni vor vier Jahren, als Edward Snowden mithilfe von Journalisten begann, eine große Menge Daten des amerikanischen Geheimdienstes auszuwerten. In den folgenden Wochen begriff die Welt, dass das Internet nach wie vor ein amerikanisches Netz ist, das Amerika keineswegs der unsichtbaren Hand des Ideenaustausches und Wettbewerbes überlassen hat. Und dieses Netz wird von amerikanischen Geheimdiensten, vor allem aber von der amerikanischen Digitalindustrie kontrolliert.

Bleibt man bei den frühen Vergleichen des Internets mit der Antike, die das Netz als eine Art globale Bibliothek von Alexandria priesen, so hatten Geheimdienst und Konzerne es in eine virtuelle Tabula Peutingeriana verwandelt, jene Karte der Römerstraßen, die alle Welt nutzen konnte, die jedoch immer unter der Kontrolle und im Dienste der Weltmacht stand.

Der Bruch mit den Idealen der digitalen Frühzeit vollzog sich kurz nach dem Beginn des neuen Millenniums. Konzernchefs wie Peter Thiel, Elon Musk und die sogenannte "Paypal Mafia" schufen mit ihrem neuen Bezahlsystem im Netz die Ausgangsbasis, um als Investoren die digitalen Industrien der amerikanischen Westküste zu neuen Gipfeln zu treiben.

Die Freiheit dient nicht dem Nutzen aller, sondern dem Erfolg Einzelner

Peter Thiel vor allem erkannte, welche Möglichkeiten das Netz bot. Er investierte als Erster in Facebook, gründete die Datenauswertungsfirma Palantir (die dem amerikanischen Geheimdienst NSA die Software für die Massenüberwachung lieferte), und finanzierte eine sehr lange Liste von Firmen, die heute den digitalen Markt dominieren.

Peter Thiel war der ideale Mann fürs Silicon Valley. Er vertrat die Denkschule der Libertarier, einer politischen Richtung, die den Freiheitsbegriff der amerikanischen Verfassung radikal und wirtschaftlich auslegt. In einigen Punkten berührte diese Haltung sogar den Aussteigergeist der Hippies. Absolute Selbständigkeit, ein Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen sowie ein Hang zu extremen Utopien wie dem Transhumanismus oder der kolonialistischen Weltraumfahrt finden sich bei beiden. Mit dem Unterschied, dass im Weltbild von Leuten wie Peter Thiel, aber auch von visionären Firmengründern wie Mark Zuckerberg (Facebook), Jeff Bezos (Amazon), Larry Page (Google) oder Steve Jobs (Apple) die Freiheit nicht dem Nutzen aller dient, sondern dem Erfolg Einzelner. Im Kielwasser von Peter Thiel wurde aus dem Konkurrenzprinzip der freien Marktwirtschaft ein Modus Operandi des Mobbing. Konkurrenz muss ausgeschaltet werden, egal ob durch zentrale Algorithmen (Facebook und Google), Verdrängungsmechanismen (Amazon) oder auch mit einer Armada von Patentanwälten, die Konkurrenten vor die Wahl stellen, zu verkaufen oder in kostspieligen Gerichtsverfahren pleitezugehen (Apple).

Einige Länder haben sich vom amerikanischen Internet entkoppelt: China, Russland, Iran

Thiels Misstrauen gegenüber dem Staat ging so weit, dass er als eine Art Superaussteiger einfach sein eigenes Staatsgebilde konzipierte. Er gehört zu den Geldgebern des "Seasteading Institute", einer Einrichtung, die Möglichkeiten untersucht, auf künstlichen Inseln und ehemaligen Bohrplattformen in internationalen Gewässern Firmen- oder Wohnsitze jenseits staatlicher Kontrollen zu schaffen.

Der entscheidende Unterschied zu den utopischen Freiheitsbegriffen der Sechzigerjahre liegt dabei in einem einzigen Wort. Die Visionäre der Sechzigerjahre kämpften für die Freiheit zu leben, wie sie wollten. Die Libertären kämpfen für eine Freiheit von äußeren Einflüssen, und damit meinen sie in erster Linie Staatsorgane. Mit dem Wechsel vom positiven zum negativen Freiheitsbegriff veränderte sich allerdings auch die Wirkung des Internets. Aus der Maschine für gesellschaftlichen Wandel und Ideenaustausch wurde das geschlossene System eines Monopolkapitalismus, der längst keine Grenzen mehr kennt. Und weil das Internet eben ein amerikanisches System ist und die Monopole mit Facebook, Google, Amazon und Apple allesamt in den USA angesiedelt sind, ist aus dem Ideal vom globalen Netzwerk ein Instrument für eine Globalisierung geworden, in der Konkurrenz nicht vorgesehen ist.

Sicher gibt es Widerstand. Längst haben sich ganze Weltgegenden vom Einflussbereich des amerikanischen Internets abgekoppelt. Es ist allerdings keine einladende Liste: China, Iran und Russland haben erfolgreich ihre eigenen digitalen Welten etabliert. Drei Autokratien, die das vor allem aus politischen Gründen taten.

Europa mit seinen vermeintlich hinterwäldlerischen Praktiken und Vorstößen ist derzeit der einzige Lichtblick. Da gibt es Figuren wie die kämpferische EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, die Google die historische Geldstrafe aufbrummte. Oder den aus seinen Tagen als Präsident des Europäischen Parlaments digital versierten SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Der fordert schon seit Jahren ein "europäisches Internet".

Es ist kein naiver Anspruch. Selbst die Zahlen sprechen dafür. Die niederländische Onlineplattform The Next Web verkündete neulich: "Europa ist nicht das neue Silicon Valley. Es ist besser."

Der Text stützte sich auf einen Bericht des World Economic Forum und eine Untersuchung der Tech-Investmentfirma Atomico. Demnach gibt es in Europa inzwischen mehr Entwickler und robustere Innovation als in Amerika. Das Risikokapital hat sich vervielfacht. Neben etablierten Standorten wie London, Berlin und Stockholm streben gerade Städte wie München, Lissabon oder Amsterdam in die erste Reihe der digitalen Metropolen. Vor allem aber verbindet die Europäer eine gesunde Aversion gegen den börsengetriebenen Monopol-Ansatz in den USA.

Das sind alles gute Nachrichten für Europa und für Martin Schulz. Das Ideal der digitalen Globalisierung aber wird in diesem transatlantischen Konkurrenzkampf endgültig begraben werden.

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