"Sein letztes Rennen" im Kino:Dem Tod läuft man nicht davon

'Sein letztes Rennen' feiert Premiere in Berlin

Dieter Hallervorden in "Sein letztes Rennen"

(Foto: dpa)

Aber was ist mit der großen Langeweile, die vor dem Sterben kommt? Dieter Hallervorden tritt für "Sein letztes Rennen" im Kino an - und "Didi" braucht ihn nach diesem späten Karrierehöhepunkt jetzt keiner mehr zu nennen.

Von Susan Vahabzadeh

Wir tun gerne so, als würden wir uns dem Altern der Gesellschaft anpassen. Aber stimmt das wirklich? Es ist natürlich ganz wunderbar, wenn wir mit dem Ausdruck "in Würde altern" meinen, dass es Menschen gestattet sein sollte, tatsächlich einfach älter zu werden, statt sich das Gesicht zur Fratze umoperieren zu lassen. Ganz oft meinen wir damit aber: Irgendwann stehen den Menschen bestimmte Dinge nicht mehr zu.

Paul Averhoff ist so einer. Eigentlich geht es ihm ziemlich gut, aber nicht gut genug, um seine Frau Margot zu versorgen. Und weil die Tochter als Flugbegleiterin arbeitet und es auch nicht kann oder will, ziehen die Averhoffs in ein Berliner Altenheim. Was dann schlimmer ist, als Paul, der ohnehin nicht dort hinwollte, es sich vorgestellt hat: Die beiden werden mit in ein Zimmer gepfercht in einem trostlosen Siebzigerjahre-Bauwerk, dessen Architekt verprügelt hätte werden sollen, und der Nachmittag wird betreut gestaltet wie im Kindergarten. Paul soll Kastanienmännchen zusammenkleben, was seiner Vorstellung von "in Würde altern" diametral entgegensteht. Und die Therapeutin, die ihn dazu bewegen will, legt dabei eine widerwärtig herablassende Betulichkeit an den Tag.

Eine echte Überraschung

"Sein letztes Rennen" ist der erste Kinofilm von Kilian Riedhof, der vorher schon einiges im Fernsehen gemacht hat (unter anderem einen Münster-"Tatort"). Und sein Hauptdarsteller ist, was das Kino angeht, eine echte Überraschung: Dieter Hallervorden hat über die Jahre eine merkwürdige Entwicklung hinter sich gebracht. Er kam zu unerhörtem Ruhm als Fernsehkomiker in, sagen wir mal, nicht allzu gesellschaftskritischen Formaten wie "Nonstop Nonsens", einer Fernsehreihe, die ihrem Titel meist gerecht wurde. Er stürmte die Charts mit Blödel-Popsongs - die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt an die "Grease"-Verulk-Nummer "Du, die Wanne ist voll" im Duett mit Helga Feddersen. Und dann, in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, wandte er sich wieder seinen Anfängen zu - dem Berliner Kabarett "Die Wühlmäuse", das er, vor der Fernsehkarriere, selbst gegründet hatte.

Der wie vielte Frühling ist das also, wenn er jetzt wiederaufersteht - und zwar in einer Rolle, die zwar ein paar komische Momente hat, aber eigentlich ganz ernst ist, und ganz ernst genommen werden will? Er macht das nämlich gut. Gar nicht albern oder überdreht, wie seine Comedy-Auftritte früher waren, mit schrillen Kieksern in der Stimme - hier agiert er ganz ruhig, zwischen zurückhaltendem Sarkasmus und stiller Verzweiflung.

Paul Averhoff holt seinen Trainingsanzug raus, drückt seiner Frau die Stoppuhr in die Hand und beginnt, sich für den Berlin-Marathon fit zu machen. Margot sträubt sich, die Betreuerin ist entgeistert, die anderen Bewohner staunen. Einer von ihnen merkt dann plötzlich, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hat - vor langer Zeit, in den Fünfzigern, als er als Marathonläufer bei den olympischen Spielen antrat. Und siegte.

Die Sache mit der alternden Gesellschaft

Der eigentliche Kampf, den Paul nun ausfechten muss, besteht nicht darin, das Rennen zu überstehen. Er muss durchsetzen, überhaupt daran teilnehmen zu können. Margot findet bald Gefallen an den Trainingseinheiten, und ein paar von den geistig agileren Mitbewohnern haben ihren Spaß daran, ihn anzufeuern, sich endlich wieder wirklich für etwas zu interessieren. Aber die Therapeutin und die überforderte Oberschwester Rita (Katrin Sass) versuchen, ihn am Training zu hindern: Ausdruck einer Altersdepression, sagen sie. Gesundheitsgefährdend. Paul wehrt sich mit aller Macht, er hat nichts zu verlieren, denn seinem Tod ohne weitere Gesundheitsgefährdung entgegenzuvegetieren, lehnt er strikt ab: Das Leben ist ein Marathon, man läuft nicht die ganze Zeit mit der gleichen Geschwindigkeit, und er weiß das.

Heike Makatsch spielt die Tochter von Paul und Margot, Birgit, eine Frau, die weder in ihren Job noch in ihre Beziehung allzu viel Leidenschaft investiert. Sie ist sozusagen der jugendliche Parallel-Entwurf zu dem, was man in dem Heim sieht: Den meisten Leuten dort käme etwas Aufregung gerade recht, kaum einer ist zufrieden mit dem Bastelkurs. Aber es gibt eben nur wenige, die gelernt haben, sich ihre Aufregung selbst zu verschaffen. Man muss seine Passionen beizeiten pflegen, wem das Leben nur passiert - dem passiert irgendwann gar nichts mehr. Die Tochter gewöhnt sich nur mit Mühe an die Idee, dass ihr Vater nicht zu bändigen sein will - und krempelt dann, was am Ende ein paar schöne Szenen ergibt, auch ihr eigenes Leben um.

"Das letzte Rennen" ist ein schöner, kluger Film, ganz rührend zuweilen und sehr zielstrebig - ein bildgewaltiges Epos zum Alter hat Kilian Riedhof vielleicht nicht gedreht, aber er weiß ganz genau, worauf er hinaus will. Man kann das, was er dann daraus gemacht hat, am ehesten Dustin Hoffmans spätem Regiedebüt "Quartett" gegenüberstellen, das im vergangenen Jahr mit einigem Erfolg bei uns gelaufen ist: Da ging es um ein Seniorenheim für Musiker in England, ein wunderbarer alter Landsitz, dem zwar die Stiftungsgelder ausgehen, wo sich aber einstweilen die Bewohner an Energie gegenseitig übertreffen. Dame Maggie Smith kommt als Neuzugang an, und ihr Problem ist, dass sie nicht mehr öffentlich singen will - sie hat Angst, hinter ihren früheren Leistungen zurückzubleiben, und die anderen müssen sie erst einmal davon überzeugen, dass man etwas auch dann noch tun darf, wenn man nicht mehr gewinnt.

Lieber basteln

Das ist sozusagen das genaue Gegenteil von dem, was Dieter Hallervordens Paul durchmacht. Dem ist egal, dass er nicht mehr als Erster durchs Ziel laufen wird, er will eine Aufgabe - und keiner ermutigt ihn. Er soll lieber basteln.

Und so schön "Quartett" ist: "Sein letztes Rennen" ist die realistischere Geschichte und dann auch die, die viel mehr Fragen aufwirft, dazu, ob wir die Sache mit der alternden Gesellschaft wirklich im Griff haben. Seinem Hauptdarsteller hat Riedhof so auf jeden Fall einen ganz wunderbaren Karriere-Höhepunkt beschert. Unerwartet spät - aber das passt ja ganz hervorragend zum Film.

Sein letztes Rennen, D 2013 - Regie: Kilian Riedhof. Drehbuch: Riedhof, Marc Blöbaum. Kamera: Judith Kaufmann. Mit: Dieter Hallervorden, Tatja Seibt, Heike Makatsch, Frederick Lau, Katrin Sass, Katharina Lorenz. Universum 114 Minuten.

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