Sehnsucht nach der Schreibmaschine:Ade, Olympia

Sehnsucht nach der Schreibmaschine: Ohne Cloud und Sicherungskopie: So kam der Text von Professor Sauerländer in der Redaktion an.

Ohne Cloud und Sicherungskopie: So kam der Text von Professor Sauerländer in der Redaktion an.

(Foto: Sauerländer)

Unser SZ-Kunstkritiker schreibt seine Texte ausschließlich auf einer seiner fünf Schreibmaschinen. Das ist Sabotage an der digitalen Gegenwart. Respekt!

Von Willibald Sauerländer

Ich gehöre zu jenen wohl seltenen, vorsintflutlichen Dinosauriern, die sich auf eine durchaus unvernünftige und privatistische Weise dem technischen Übergang von der mechanischen Schreibmaschine zum Computer verweigerten. Bis in mein neunzigstes Lebensjahr habe ich Verleger und Redakteure mit meinen von Hand getippten Texten gequält und enerviert. Schlimmer: Ich schrieb sie meistens auf ziemlich abgenutzten Farbbändern und stets ohne Zeilenabstand, so dass sie gegen jeden fremden Eingriff sperrig und beinahe ängstlich abgeschirmt blieben, ja ich trieb diesen neurotischen Solipsismus noch weiter, indem ich mich der Benutzung der sich von etwa 1970 an verbreitenden elektrischen Schreibmaschine entzog, weil mich das widerstandslose Fortlaufen der Buchstaben in Panik versetzt und ich den harten, empathischen Anschlag auf die Tasten mit den Buchstaben, Zahlen und Satzzeichen nicht missen wollte.

Die mechanische Schreibmaschine erschien mir als das letzte Instrument selbstbestimmten Schreibens. Sie enthielt ein Angebot grammatisch geregelten Formulierens, aber sie gewährte auch Raum für die Eigenwilligkeit des selbstbestimmten Autogramms.

Ein weiterer Vorzug war die Mobilität dieses an keinen Stromkreis angeschlossenen Gerätes. In den 50er- und 60er-Jahren habe ich als flanierender Intellektueller immer wieder den Ort gewechselt, und dabei habe ich meine geliebte mechanische Schreibmaschine von Paris nach London und New York mitgenommen und konnte so überall - in Seminarräumen wie in Hotelzimmern - auf ihr hantieren. Sie war das ideale Arbeitsinstrument für die Schriftstellerei in jenen Jahren.

Das berühmte Foto, welches Jean-Paul Sartre mit Zigarette vor seiner mechanischen Schreibmaschine zeigt, mit einem Antlitz voll nervöser, kritischer Anspannung, ist eine Ikone des ausgehenden Zeitalters der mechanischen Schreibmaschine. Es ist noch einmal eines der signifikanten Schriftsteller-Porträts, wie sie die europäische Literatur seit dem Humanismus begleitet haben. Bringt die Zeit der Computer noch solche hochsensiblen Porträts hervor?

Aber was soll ich für Geschichten von meinem Leben mit der Schreibmaschine erzählen? Als Kind bestaunte ich im Büro der heimischen Weberei die schwarzen Ungeheuer der Klaviaturschreibmaschinen, auf denen die geheimnisvolle Korrespondenz erledigt wurde. Natürlich durfte ich sie nicht berühren. Auch hatte ich wohl Angst vor diesen befremdlichen Apparaten, und noch heute habe ich das gar nicht wohlklingende Geklapper ihrer Tastaturen im Ohr.

Ein Mann in SA-Uniform, der auf einer Klaviaturschreibmaschine den Papierkrieg erledigte

Dann ein Kuriosum. Der böse Zufall wollte es, dass ich bald an einem anderen Ort eine unerwartete, auch etwas komische Bekanntschaft mit dem schwarzen Büro-Ungeheuer machte. Ich besuchte eine winzige, einklassige Konfessionsschule, deren nur privat angestellter Lehrer im Frühling 1934 nichts Eiligeres zu tun hatte, als sich in die neuen politischen Verhältnisse zu stürzen. In unserem kleinen Schulraum wurde ein Mann in SA-Uniform installiert, der auf einer Klaviaturschreibmaschine den Papierkrieg der braunen Sturm-Abteilung erledigte und dabei unseren Unterricht mit seinem Geklapper störte oder belebte. Doch geben wir der Erinnerung an meine frühen Erfahrungen mit den altmodischen Schreibmaschinen eine freundlichere Wendung. Nach dem Kriege bekam ich einen der ausgedienten Apparate aus dem elterlichen Büro geschenkt und habe auf ihm mit Vergnügen meine ersten Seminararbeiten getippt.

Wann ich meine erste mechanische Schreibmaschine erhielt, erinnere ich nicht genau. Als ich 1954 für einige Jahre nach Paris übersiedelte, gehörte jedenfalls neben einer Vespa eine Olympia-Schreibmaschine zu meiner Ausstattung, wie es sich damals in den bescheidenen Anfängen der Bundesrepublik so schickte. Meine ersten Arbeiten skizzierte ich mit der Hand meist im Obergeschoss des Café Lipp, wo ein amerikanischer Maupassant-Forscher mein einziger Gefährte war. Nachts tippte ich dann die fertigen Texte auf meiner Schreibmaschine, nicht immer zur Freude meiner Zimmernachbarn.

Fuhr ich in den Ferien nach Hause, nahm ich das Schreibgerät mit mir. Aber als ich die Maschine wieder nach Frankreich einführen wollte, beschlagnahmte sie eines Tages der französische Zoll an der Grenze. Es gab ja noch kein vereinigtes Europa. Erst nach Wochen habe ich mir das so teure Gerät irgendwo an der Pariser Douane gegen eine Gebühr auslösen können. Obwohl ich auf meiner Olympia leider keinerlei politische Traktate oder Flugblätter schrieb, sondern nur ganz harmlose, öffentlich uninteressante kunsthistorische Texte, war mein Schreibgerät unter polizeilichen Verdacht geraten.

Heute hüte ich immer noch fünf mechanische Schreibmaschinen

Als ich später an amerikanischen Universitäten lehrte, an denen die Computer längst die mechanische Schreibmaschine verdrängt hatten und ich in keinem Abstellraum noch eine Olympia entdeckte, ließ ich eine meiner deutschen Maschinen nachkommen und deponierte sie vorsorglich in einem Kellerraum des New Yorker Institute of Fine Arts für fernere Besuche. Wie haben damals meine New Yorker Kollegen über mich gelacht, über meine anachronistische Marotte der programmlosen Schreibmaschine, auf der man dilettantisch und frei drauflos tippen konnte.

Heute hüte ich in meiner Schwabinger Wohnung immer noch fünf mechanische Schreibmaschinen, Überbleibsel eines Traumes vom freien Schreiben ohne E-Mail, Digitalisierung und Online. Ich gebrauche sie kaum mehr, und ihr klägliches Ende auf einem Flohmarkt oder im Altwarenhandel ist abzusehen. Der Stil des Schreibens hat sich mit der Computerisierung längst verändert, wie jeder Blick auf ein amtliches Formular, eine Tageszeitung oder einen wissenschaftlichen Text zeigt. Die Emphase der mechanischen Schreibmaschine gehört einer fernen Vergangenheit an. Ade, Olympia.

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