Sci-Fi und Altersweisheit in Venedig:Nicolas im Käfig

Das Festival hat sich nach dem bizarren Ausfall "Imagining Argentina" wieder berappelt: Mit Filmen von Michael Schorr, Takeshi Kitano, Michael Winterbottom und Ridley Scott.

SUSAN VAHABZADEH

Für Filmfestivals sollte ein Schlechtwetterverbot erlassen werden - wenn es draußen kalt ist und grau, wird es schwierig, hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen. An Moritz de Hadelns Wettbewerb ist, von dem bizarren Ausfall "Imagining Argentina" einmal abgesehen, wenig herumzumäkeln - junge und alte Filmemacher entwerfen ihre Perspektiven, Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft reiben sich aneinander. Die Repubblica konzentriert den Pessimismus also aufs Kinogeschehen jenseits der Mostra: die Änderung des italienischen Filmförderungssystems. Die Förderung darf nur noch 50 statt wie bisher 75 Prozent des Budgets ausmachen. Und außerdem soll es neue Qualitätskriterien geben für die Gremien, die die Gelder vergeben - wie schwer die festzulegen sind, davon können auch deutsche Kommissionsmitglieder ein Lied singen. In Italien soll demnächst auch der bisherige Erfolg eines Regisseurs eine zentrale Rolle spielen. Wer also noch gar keinen Film gemacht hat, für den stehen die Chancen schlecht.

Sci-Fi und Altersweisheit in Venedig: Nicolas Cage spielt in Scotts "Matchstick Men" einen neurotischen Betrüger, aber eben nicht jene Variante, die in Casinos oder auf der Jet-Set-Ebene ihr Unwesen treibt, sondern einen bürgerlichen Kerl mit einem Putztick.

Nicolas Cage spielt in Scotts "Matchstick Men" einen neurotischen Betrüger, aber eben nicht jene Variante, die in Casinos oder auf der Jet-Set-Ebene ihr Unwesen treibt, sondern einen bürgerlichen Kerl mit einem Putztick.

(Foto: Foto: AP)

Mangelnde Unterstützung für junge Filmemacher kann man der Mostra nicht vorwerfen, wo man sich einen Zweitwettbewerb leistet, Controcorrente. Hier ist auch der zweite deutsche Film gezeigt worden, ein Erstling: "Schultze gets the Blues" von Michael Schorr. Schultze ist ein Kleinbürger, der gar nichts mehr hat, als ihn sein Bergwerk in den Vorruhestand schickt: Keine Frau, keine Kinder, keinen Job, und dann geht ihm auch noch die Liebe zur Polka flöten. Er entdeckt aber die Musik neu, steht plötzlich auf Cajun. Ganz leise lässt Schorr die Geschichte von einem späten neuen, leidenschaftlicheren Leben dahinfließen, er hat einen schönen Balanceakt zwischen Schwermut und Witz hingelegt. Nun muss man nicht meinen, so was sei in Deutschland leicht durchzubringen als Erstling: Seit 1995 hat Schorr versucht, das Projekt auf den Weg zu bringen.

Den eigentlichen Wettbewerb dominieren Filmemacher, die auch der neuen italienischen Filmförderung gut in den Kram passen würden: Man hat ein Filmwerk, an das man sich halten kann, bei Takeshi Kitano, Michael Winterbottom, Ridley Scott. Was aber immer auch heißt, dass die Erwartungen sehr groß sind. Der Effekt belastet Takeshi Kitanos "Zaitochi" - ein großartiges Ding, aber es sorgt nicht für hitzige Diskussionen wie seinerzeit "Hana Bi". Vielleicht würde es das tun, würde man nicht von Kitano ohnehin Gewaltausbrüche auf hohem Niveau erwarten. "Zaitochi" ist Kino, das aus dem Kino entsteht, aus Western und Kurosawa und den "Zaitochi"-Filmen, die lange vor Kitanos Zeit in Japan ein großer Erfolg waren. Kitano hat als einen Schwertkämpfer wiederbelebt, der sich als blinder Masseur ausgibt und so durchs Land zieht im 19. Jahrhundert. In der Kitano-Version kommt er in ein Kaff, in dem sich zwei Banden bekämpfen. Schwertkampf am O.K. Corral sozusagen - und Kitano ist Wyatt Earp und Doc Holliday in einer Person. Einem Geschwisterpaar wird geholfen, das den Mord an seinen Eltern rächen will. Ein klassisches Westernmotiv, aber ironisch gebrochen - die beiden haben sich als Geishas verkleidet, und dass der Junge am Ende nicht mehr lassen will von den Frauenkleidern, gehört zu den Einfällen, mit denen Kitano seine Story aus dem Wilden Osten auf witzige Weise im Jetzt und Hier verankert.

Winterbottom ist eigentlich ein Filmemacher, dessen Geschichten sich sehr geradlinig auf die Gegenwart beziehen. Sein Wettbewerbsbeitrag "Code 46" ist ein Ausflug in eine trostlose Zukunft: Die Menschheit ist aufgeteilt in Passbesitzer und Ausgestoßene, Winterbottom zeigt diese Zukunft immer wieder von oben: Eine weite Wüste wird die Welt sein, unterbrochen von gelegentlichen Hochhausstädten, die einander ähneln, die Sprache hat sich entwickelt zu einem Gemisch aus Englisch, Spanisch und Französisch. William (Tim Robbins) kommt nach Shanghai, um dort das Verschwinden von Ausweisen aufzuklären. Das Mädchen Maria (Samantha Morton) hat sie geklaut und ermöglicht damit Ausgestoßenen ein neues Leben. William verliebt sich in sie, und die beiden steuern auf ein genetisches Desaster zu - fast niemand mehr ist natürlich gezeugt, und der Code 46 soll verhindern, dass Menschen, die vom selben Stamm geklont wurden, einander zu nahe kommen. Nur werden diese genetischen Konstrukte immer noch von ihrer Welt geformt, von ihren Träumen: Sie sind nicht decodierbar.

Pure Science-Fiction also von Winterbottom, aber sie passt in sein bisheriges Werk - er erzählt vom Zerfall der Welt in Gewinner und Verlierer, es geht um eine Globalisierung, in der die Oberschicht von Seattle und Shanghai mehr miteinander gemeinsam hat als mit den Menschen am jeweiligen Stadtrand. Bei Ridley Scott, dessen "Matchstick Men" außer Konkurrenz lief, hat sich der Bezug zu Zeit und Ort genau gegensätzlich entwickelt - keine Zukunft wie in "Blade Runner", keine fremden Kriege wie in "Black Hawk Down", er ist angekommen im Los Angeles von heute. Nicolas Cage spielt Roy, einen neurotischen Betrüger, aber eben nicht jene Variante, die in Casinos oder auf der Jet-Set-Ebene ihr Unwesen treibt, sondern einen bürgerlichen Kerl mit einem Putztick, der kleine Leute um ein paar hundert Dollar erleichtert und sein Geld spart für ein Leben, an dem er eigentlich gar nicht teilnehmen möchte - Hawaii kommt nicht in Frage, im Freien muss er sofort hyperventilieren. Einmal winkt ein größerer Coup, und prompt funkt das Leben dazwischen: Roy entdeckt, dass er eine Tochter hat. Sein Kriminellendasein wird davon erschwert, aber alle anderen Probleme scheint die Liebe aufzulösen. Der alte Ridley Scott schaut mit mehr Optimismus in die Welt als der junge Winterbottom. Hoffen wir, dass die paar Jahrzehnte Leben mehr ihn etwas gelehrt haben, was Winterbottom, der an der Welt verzweifelt, eben nicht glauben kann: Dass die Liebe, selbst wenn sie nicht erwidert wird, die Menschheit retten, nicht zerstören wird.

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