Schwarzer, Schröder und der Feminismus:Gewaltige Selbstüberhebung

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Im Duktus einer entfesselten Oberlehrerin geht Alice Schwarzer auf Kristina Schröder los. Dabei ist die Gleichstellung der Frau keine exklusive Errungenschaft des Feminismus.

Thomas Steinfeld

Dass die Familienministerin Kristina Schröder unvorsichtig gewesen sei, als sie dem Spiegel ein Interview gab, wird man ihr nicht vorwerfen können: "Ich glaube, dass zumindest der frühe Feminismus teilweise übersehen hat, dass Partnerschaft und Kinder Glück spenden", sagte sie. "Es ist nicht der einzige Weg, aber es ist doch für viele Menschen der wichtigste." Und in einem Versuch, den Feminismus der frühen siebziger Jahre zu beschreiben, erklärte sie, es habe damals eine "radikale Strömung" gegeben, die eine "Lösung der Benachteiligung der Frau" in der Homosexualität gefunden haben wollte.

Nun, mit Letzterem hat Kristina Schröder historisch recht: Es gab diese Bewegung, und sie gehörte zu einer Radikalisierung des Feminismus, die im Mann den Feind schlechthin erkannte, die Frauencafés und Frauendiscos hervorbrachte und selbst vor der reichlich reaktionären Forderung, die Geschlechtertrennung im Schulunterricht wiedereinzuführen, nicht zurückwich.

Und was die erste Aussage betrifft: Sie ist so allgemein gehalten, dass ihr kaum zu widersprechen ist, zumindest insofern, als Partnerschaft und Kinder das Glück nicht ausschließen müssen. Dass Kristina Schröder mit diesen Sätzen eine erschöpfende Auskunft zu Vergangenheit und Gegenwart des Feminismus geben wollte - auf den Gedanken wäre sie selbst vermutlich nicht gekommen.

Genau diese Auskunft aber verlangt Alice Schwarzer in einem offenen Brief, der auf ihrer Website veröffentlicht ist und die Bild-Zeitung zu der Schlagzeile anregte: "Bizarrer Sex-Streit". Und das vermeintliche Versagen vor den Ansprüchen, die Alice Schwarzer, die "frühe Feministin", an die Ministerin stellt, wird zum Anlass einer Abrechnung, in deren Verlauf Kristina Schröder nicht nur, im Duktus einer entfesselten Oberlehrerin, als "hoffnungsloser Fall" und "ungeeignet" abgefertigt wird, sondern auch erklärt wird, wofür Alice Schwarzer den Feminismus tatsächlich hält: nämlich für die "folgenreichste soziale Bewegung des zwanzigsten Jahrhunderts", der nicht nur Kristina Schröder ihre Karriere zu verdanken habe.

Vielmehr habe sie Anstöße gegeben "für eine Welt, in der Frauen endlich davon ausgehen können, dass sie alles können, was Männer können - und umgekehrt (Stichwort Vaterschaftsurlaub). Eine Welt, in der die von Ihnen so wohlfeil im Munde geführte ,Partnerschaft' nicht mehr länger reine Theorie sein muss, sondern echte Chancen hat." Diese Auskunft aber ist historisch nicht richtig, sondern Zeugnis einer schon gewaltigen Selbstüberhebung.

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Zwar stimmt es, dass auch in Deutschland die Frauen erst nach dem Zweiten Weltkrieg rechtlich den Männern gleichgestellt wurden, und es war die sozialliberale Koalition in den frühen siebziger Jahren, die mit einer Reform des Ehe-, Renten- und Arbeitsrechts die letzten Relikte einer formalen Ordnung beseitigte, nach der sich eine Frau nur über ihren Ehemann auf die Gesellschaft beziehen konnte. Eine exklusive Errungenschaft des Feminismus hingegen war diese Entwicklung nicht.

Vielmehr blühte diese weibliche Volksbewegung erst auf, als die Politik ihr längst entgegenkam, als die Wirtschaft auf diese Ressource an Arbeitskraft nicht mehr verzichten wollte, als der freie Wettbewerb alle ständischen, geschlechtlichen und kulturellen Unterschiede längst aufzulösen begonnen hatte. Und doch glauben nach wie vor viele Frauen aus der ersten Generation der voll berufstätigen und selbständigen Frauen - und zu ihnen gehört Alice Schwarzer -, dass der gesellschaftliche Wandel, der sich an ihnen darstellt, von ihnen allein durchgesetzt worden sei.

Nicht nur Alice Schwarzer überschüttet nun Kristina Schröder mit Vorwürfen und Einwänden. In ihrer Selbstgefälligkeit und Bosheit mag sie einzig sein, aber sie zieht einen ganzen Schwarm von Politikerinnen hinter sich, die alle finden, Frau Schröder habe nicht nur "keinerlei Verständnis für die historische Bedeutung des Feminismus" (Manuela Schwesig), sondern unterschätze auch nach wie vor die Benachteiligung der Frau, wie sie sich in ungleicher Bezahlung, mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Familie, fehlender Präsenz in Führungspositionen und dergleichen äußere.

Das aber sind zwei sehr verschiedene Dinge: Denn die Politik kann zwar die rechtliche Gleichstellung der Frau durchsetzen. Die gesellschaftliche Gleichstellung aber hat sie nie erreicht, und das beginnt bei der Doppelbelastung durch Familie und Beruf, die ja auch ein, wenngleich wenig erwünschtes Produkt der Emanzipation ist, und endet noch nicht bei den Frauen in den Vorständen. Denn es stimmt nicht, dass die Wirtschaft die Frauen nicht gleichstellt - sie tut es, allerdings kaum nach juristischen Maßstäben, sondern nach ökonomischen, und da fällt der Mutterschutz ebenso in Betracht wie die Fähigkeit, sich im mörderischen Wettbewerb innerhalb eines Vorstands durchsetzen zu können.

In Wirtschaft und Gesellschaft geht es also gerade nicht um Repräsentation - und vor allem darin haben es die Frauen zu etwas gebracht -, sondern um handfeste Interessen. Sie aber werden nicht angenehmer, wenn sie auch von Frauen wahrgenommen werden.

© SZ vom 10.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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