Schwarze Country-Musik:Die Musik des Gegners

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"Diese Songs kann doch kein Schwarzer geschrieben haben": Immer mehr afroamerikanische Pop- und Hip-Hop-Stars laufen über zum weißen Country. Rapper Snoop Dogg liebt die Musik der Cowboys.

Jonathan Fischer

Auch wenn Barack Obama alle Chancen hat, als erster Afroamerikaner Präsident der Vereinigten Staaten zu werden - ein paar leichentuchblasse Flecken glänzen noch immer auf der kulturellen Landkarte Amerikas.

Bei ihm verschwimmen die Grenzen: Rapper Snoop Dogg bezeichnet Country-Legende Johnny Cash (li.) als den "real american gangster". Eigentlich wollte Cash Gospelsänger werden. (Foto: Foto: AP)

Opernhäuser etwa, Segelregatten, Stock-Car-Rennen, vor allem aber die erfolgreichste Popmusik Amerikas: Country. Nirgends schimmert die Haut noch bleicher als auf den Plattencovern mit den Stetson-Hut-Trägern. Bisher jedenfalls.

Da störten auch die paar Ausnahmen von der Regel den Gagschreiber nicht, der in dem Film "Boogie Nights" einen schwarzen Hifi-Equipment-Verkäufer seine Geräte stets mit lautem Country vorführen ließ. Immer öfter jedoch stellen Afroamerikaner die ungeschriebenen Gesetze der Country-Plattenindustrie in Frage.

Die 26-jährige Rissi Palmer aus St. Louis lehnte ein lukratives Angebot der Mariah-Carey- und Janet-Jackson-Produzenten Jimmy Jam und Terry Lewis für ein R'n'B-Album ab zugunsten einer unsicheren Zukunft als Countrysängerin.

Steiniger Weg

Lange glaubte die junge Frau mit der Afro-Frisur, als Countrysängerin keine Chance zu haben. Und entschied sich dann doch für die Musik, die sie während ihrer High-School-Zeit nur heimlich gehört hatte: "Meine Familie war entsetzt. Wie ich nur den Major-Label-Deal ausschlagen könne? Aber ich erkenne im Country einfach viel mehr von meinem eigenen Leben."

Palmers selbstgeschriebenes Debüt "Country Girl" wurde bei Starbucks verkauft und landete sofort auf Platz fünf der amerikanischen Download-Charts. Sie glaubt zu wissen, warum: "Gute Country-Texte sprechen menschliche Grundwahrheiten jenseits aller Hautfarben an. Jeder kann sich mit den tragischen Details identifizieren."

Palmer steht nicht als einzige schwarze Newcomerin im Country-Regal: Dort findet sich auch die als Unterwäsche-Model jobbende Pfarrerstochter Vicki Vann. Oder Carl Ray, der Robert Parissis Funkklassiker "Play That Funky Music, White Boy" in den Country übersetzt hat: "Play That Country Music, Black Boy!"

Und erst kürzlich machte Schauspieler John Amos Schlagzeilen, als er in Nashville einen Deal über fünf Alben abschloss, und für seinen ersten Hit "When We Were Hippies" einen Neffen und Cousin Johnny Cashs engagierte.

Country statt Hip-Hop

Gemeinsam ist den neuen schwarzen Country-Aufsteigern eigentlich nur eines: Eine gegen alle Widerstände verteidigte Faszination für die Musik des vermeintlichen Gegners. Und die Erkenntnis, erst einmal für ihre Hautfarbe und dann für ihre Musik beachtet zu werden.

Dabei sind laut Umfragen ein knappes Viertel der Country-Radio-Konsumenten schwarz und junge urbane Afroamerikaner die am schnellsten wachsende Hörergruppe.

Das haben auch schon Hip-Hop-Stars bemerkt. Während sich das eigene Genre im kommerziellen Sturzflug befindet, erscheint der Graben zum Marktführer Country plötzlich schmäler als je zuvor.

Zuerst überwand ihn Nelly für ein Duett mit Tim McGraw, zuletzt verneigte sich Snoop Dogg auf seinem neuen Album vor Nashvilles "Grand Ole Opry"-Show und speziell vor dem "real American gangster" Johnny Cash, während mit Akon einer der erfolgreichsten Hip-Hop-Produzenten nicht nur für einen Song das Ufer wechselt, sondern gleich ein ganzes Country-Album eingespielt hat.

Der 34-jährige R'n'B-Sänger verkündete kürzlich, er sei ein großer Fan von Shania Twain, Garth Brooks & Co und werde seinen Welterfolgen wie "Lonely" ein paar Country-Hits nachschieben.

Kann man so einfach die Hip-Hop-Sneaker gegen ein paar Cowboystiefel eintauschen? "Viele Manager", erzählt die schwarze Countrysängerin Frankie Staton, "laden aufgrund der Demos ein und reagieren dann sehr kühl, wenn sie das dazugehörige Gesicht sehen. ,Diese Songs', heißt es dann, ,kann doch kein Schwarzer geschrieben haben'."

Geheime Identität

Akon ist deshalb wohlweislich incognito geblieben: "Ich habe unter einer geheimen Identität produziert - und so bereits meinen ersten Hit gelandet." Über seine Äußerung, er wolle "als erster Schwarzer den Durchbruch in diesem Genre schaffen", darf man sich allerdings wundern.

Ray Charles landete 1962 einen großen Erfolg mit seinem Album "Modern Sounds In Country And Western". Der schwarze Countrysänger Charley Pride gehörte in den sechziger und siebziger Jahren mit 36 Nummer-Eins-Country-Singles sogar zu den bestverkaufenden Stars seines Genres. Und von Bobby Womack über Solomon Burke bis zu Al Green gibt es kaum einen Soulsänger, der nicht wenigstens ein paar Countrysongs einspielte.

Tatsächlich erkannten Afroamerikaner im Country immer wieder ihre eigene Musik. Hank Williams und die Carter Family hatten viele ihrer Songs Bluessängern abgeschaut, in den zwanziger Jahren etablierte sich der Mundharmonikaspieler Deford Bailey als erster schwarzer Star in der damals vor Publikum aufgenommenen Grand-Ole-Opry-Show - und auch Louis Armstrong, die Pointer Sisters, Lionel Richie oder Donna Summer machten mit Country-Hits auf sich aufmerksam.

Einfach hatten sie es alle nie. Ray Charles' Nashville-Ausflüge wurden als Pop umetikettiert, und als Charley Pride mit der weißen Countrylegende Chet Atkins seine erste Single einspielte, versandte die Plattenfirma keine Promo-Fotos des Sängers.

Tragische Details

Ähnliche Manöver sind bis heute üblich: Vicki Vann ist - Photoshop macht es möglich - auf ihren Platten mit aufgehellter Hautfarbe und verschlankter Nase abgebildet. Umso erstaunlicher ist es, dass Cowboy Troy 2005 als erster Afroamerikaner seit zwei Jahrzehnten einen Country-Hit landete: Der junge Texaner mit Cowboyhut und breitem Nacken mischte Hip-Hop mit Hühnerstall und rappte: "I'm big and black, clickety-clack / and I make the train jump the track, just like that".

Zwar fand der einstige Profi-Wrestler und Psychologiestudent in Tim McGraw und Gretchen Wilson etablierte weiße Country-Kollaborateure und verkaufte sein Debütalbum 300 000-mal. Sein Versuch, Country für die MTV-Generation aufzubereiten, hatte aber einen Haken: Troys Texte blieben R'n'B-typischer Party-Smalltalk. Country-Texte leben von ihren Geschichten.

Der Rapper Nelly aus St. Louis will das Werk des Kollegen jetzt zu Ende bringen: Als Nebenprojekt, verkündete er letzten Monat, habe er die Band Nelly N'Nem gegründet, um neben Jazz, Rock und Funk auch Country spielen zu dürfen: "Ich höre mir auf meinem I-Pod", erzählt der mehrfach Platin-gekrönte HipHop-Superstar, "die alten Songs von Hank Williams und Johnny Cash an. Verdammt! Wenn mir so ein Stück gelingt, bin ich ein gemachter Mann!"

© SZ vom 14.7.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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