Schurkenrolle in "Jack Reacher":Werner Herzog wird böse

Werner Herzog - auch jenseits der siebzig ist er für Überraschungen gut. Zum Beispiel in "Jack Reacher" als Hollywood-Schurkendarsteller.

"Ich will wirklich nichts über den Hintergrund der Figuren wissen. Ich bin einfach böse": Werner Herzog in "Jack Reacher".

(Foto: dpa)

Neben ihm wirkt Tom Cruise trotz Lederjacke und Pistole wie eine bezaubernde Disneymaus. Als Schurkendarsteller in "Jack Reacher" ist Werner Herzog auch jenseits der siebzig für Überraschungen gut. Kurzes Wiedersehen mit einem Charakterkopf, der fremd bleiben will.

Von Anne Philippi

Werner Herzog könnte noch lernen. Und zwar ein paar Dinge in Sachen Hollywood-Marketing. Als Selbstverkäufer von heute setzt man sich am besten im Tom-Ford-Anzug und nach Lavendel duftend an einen Tisch mit Journalisten, um nach nur einer Frage in einen Monolog auszubrechen. Doch Herzog, der neue Superbösewicht an der Seite von Tom Cruise, scheint gerade vom Himmel auf die tiefen Veloursteppiche des Four Seasons gefallen zu sein - oder er ist per Zeitmaschine angereist.

Er betritt den Raum in einem Pfarreranzug, das Haar gänzlich ungebändigt, dazu der typische Herzog-Mund mit einem harten Zug nach unten. Noch mehr als sonst immer ist er heute in seiner Funktion als Charakterkopf hier - als der grauhaarige Killer, der neben Tom Cruise mit Tote-Augen-Kontaktlinsen die Leinwand in dem Thriller "Jack Reacher" regiert. Dabei ist es Cruise, der neben Herzog trotz Lederjacke und Pistole wie eine bezaubernde Disneymaus wirkt.

Herzog untertreibt gern

Herzog arbeitet, ob im Film oder im Interviewraum, gleich mit seiner wahnsinnigen Eremitenpower. Nichts an ihm ist süffig oder flamboyant, er untertreibt gern und äußert dem Schreiber gegenüber gleich die Hoffnung, dass dieser nicht bloß über Hollywoodkäse berichten muss. "Ich nehme an, Sie schreiben auch über Drogenkriege in Mexiko, über Wirtschaft, über Morde oder ähnliches."

Es ist diese Frage mit "Logisch!" zu beantworten. Genauso empfiehlt es sich, seiner nächsten Erkenntnis sofort zuzustimmen: dass ein paar Jährchen als Wärter in der Psychiatrie - einer "Irrenanstalt", wie Herzog sagt - beste Voraussetzung für eine Karriere als Filmemacher sind. Der Filmemacher Christopher McQuarrie jedenfalls hat sich für möglichst viel Herzog-Aura in seinem Film entschieden, und Herzog macht es ihm leicht. Er spielt das Böse effektiv, aber unaufgeregt. Ohne großes Ornament, ohne Dramatik. McQuarrie wird Herzogs Film-Noir-Tauglichkeit in "Julian Donkey Boy" von Harmony Korine aufgefallen sein. Dort gab Herzog nach den Regeln des Dogma-Films einen Psycho-Vater, den man nicht so schnell vergisst.

Wie holt dieser Mann vor der Kamera aus sich heraus, was er sonst Leuten wie Klaus Kinski entlockt hat? Einer von Herzogs besten Tricks in "Jack Reacher" ist, dass seine Stimmlage sich nie verändert - egal ob er an der Supermarktkasse zahlen würde oder, wie im Film, einem seiner Gangster befielt, die eigenen Finger zu essen. Herzog besteht außerdem auf Originale.

Vorbild: Mick Jagger

Seiner Figur "Mister Big" fehlen auf seinen Wunsch hin selbst ein paar Finger, für die Herzog ein fingerloses Double erhielt. Auch über Mister Bigs Akzent hat er sich Gedanken gemacht - Big verbrachte Jahre im sowjetischen Gulag. Herzog fand einen "Ostberliner Akzent" angemessen. Er weiß, dass jeder deutsche Sound den Amerikanern ganz von allein Gänsehaut auf Arme und Beine zaubert. All das zusammen addiert, liefert Herzog ein Monster ab, bei dem man nicht weiß, ob es gelitten oder andere gequält hat. Das sollte man genießen und nicht blöd nachfragen.

Denn herauszufinden, wie Werner Herzog jemand Böses oder überhaupt jemanden spielt, muss natürlich scheitern. Inspiration vom Theater? "Unerträglich. Da muss ich sofort gehen." Method-Acting? Da wird er extrem sauer. "Ich will wirklich nichts über den Hintergrund der Figur wissen. Ich bin einfach böse." Vorbilder? "Mick Jagger. Ich sah einmal, wir er hinter der Bühne jemand anbrüllte und mitten im Satz gestoppt hat, weil er als Mick Jagger auf die Bühne musste. Das bewundere ich."

Klaus-Kinski-Lektionen? Herzog stellt bierernst sein Wasserglas hin. "Ich vermisse Klaus nicht." Wahrscheinlich wandte Herzog bei "Jack Reacher" einfach die Strategie an, die er Nicolas Cage als Regisseur in "Bad Lieutenant" empfahl. "Ich sagte Cage, er solle nicht daran denken, woher das Böse in ihm kommt. Er soll einfach an die Freude am Bösen denken. Danach hat er seine Figur verstanden."

17-Jährige lieben Herzog

Herzogs merkwürdige Psychologielosigkeit wirkt derzeit besonders auf Teenager attraktiv. Sie sehnen sich geradezu nach seinen Filmen: 17-Jährige schreiben Herzog und wollen in seiner "Rogue Film School" studieren; die aus Las Vegas stammende Band The Killers engagierte ihn, um bei einem Livestream-Konzert Regie zu führen. Herzog ist darüber gar nicht so verwundert. "Ich habe meine eigene Generation mit 19 verlassen. Ich war ihr 15 Jahre voraus und dann später wieder hinterher", sagt er. Dann verschwindet die Entschlossenheit in seinem Gesicht, und der Herzog-Mund wird weich.

Herzog ist der Typ, den man nur im Moment begreifen kann. Er hat eine Heimat, das ist Bayern - aber kein Land, keine Gesellschaft und kein System, dem er sich zugehörig fühlt. Deshalb lieben ihn die 17-Jährigen. Und deshalb wird einem Angst und Bange, wenn Werner Herzog auf der Leinwand auftaucht. Mit oder ohne Finger.

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