Schuldenländer bei der Buchmesse:In der Krise bleibt kein Geld für Bücher

Man darf sich von üppigen Kunstbildbänden, von Flachbildschirmen und Espressobars an den Ständen nicht einlullen lassen: Ein Besuch bei Verlagen aus den südeuropäischen Schuldenländern auf der Frankfurter Buchmesse.

Johan Schloemann, Frankfurt

In der Nachlese zu Angela Merkels Besuch in Athen nähert sich ein deutscher Sympathisant dem Stand der griechischen Verlage auf der Frankfurter Buchmesse. Man muss so ziemlich ans letzte Ende der Halle gehen, durch den Balkan hindurch: Serbien, Kosovo, Bulgarien, Albanien . . . Hinter Griechenland kommt nur noch Iran, dann kommt die Wand. Die Sicherheitsvorkehrungen sind deutlich lascher als zuletzt auf den Straßen von Athen. Bei den Buchmenschen gibt es keine wütenden antideutschen Proteste. Um aus der Krise zu kommen, bedarf es eben der Kultur. Politik und Wirtschaft können es allein nicht richten.

Das sagt jedenfalls Catherine Velissaris, die Chefin des Nationalen Buchzentrums in Griechenland, und lädt uns zu einem sehr starken Kaffee ein. Frau Velissaris leitet eine Art von staatlicher Literaturförderungsanstalt, die als Ableger des Kulturministeriums unter anderem die jährliche Buchmesse in Thessaloniki organisiert. Sie ist blondiert, resolut, mittleren Alters, und wie viele kultivierte Südeuropäer spricht sie viel besser Französisch als Englisch. Das Problem der Krise ist für die Buchmenschen nicht so sehr die mangelnde Völkerverständigung. Na ja, eine griechische Buchmesse mit Deutschland-Schwerpunkt, sagt Velissaris, die wäre heute wohl nicht mehr ganz so erfolgreich wie noch im Jahr 2009. Aber gut ein Drittel der Buchproduktion in Griechenland seien immer noch Übersetzungen ausländischer Literatur.

Nein, das Problem der Krise ist für die griechischen Verlage die Krise selbst. Das Einbrechen der Kaufkraft hat die Buchverkäufe drastisch reduziert. Die Verleger reagieren, indem sie ihre Backlist, also ihre Lagerbestände, zu Rabatten von 50 bis 70 Prozent verhökern. In Griechenland gibt es keine großen Verlagskonzerne, sondern vor allem viele kleine Verlagsbuchhandlungen; in Athen sieht man diese Kleinverlage nicht zuletzt im Stadtteil Exarchia, der alten und neuen Hochburg linken Protests.

Nicht einlullen lassen

Während aber viele Buchhandlungen schon zugemacht haben, erzählt Catherine Velissaris, geben die gebeutelten griechischen Verleger nicht auf. Bisher nicht. "Sie wollen aufrecht gegen die Krise angehen, sie wollen Bücher machen, und sie haben keine Alternative." Deswegen seien sie auch nach Frankfurt gekommen - jetzt erst recht. Wir wünschen Frau Velissaris viel Glück - und legen schnell das ziemlich fatalistische Aphorismenbuch "Über das Unglück, ein Grieche zu sein" des Philosophen Nikos Dimou zur Seite, das er 1975 schrieb und das der Kunstmann Verlag soeben neu herausgebracht hat. Darin Sätze wie dieser: "Andere Völker haben Institutionen. Wir haben Luftspiegelungen."

Public transport workers on 24-hour strike in Greece

Ein lesender Mann während eines 24-Stunden-Streiks in Athen im September 2012

(Foto: dpa)

Weiter vorne in derselben Messehalle campieren die anderen südlichen Schuldenländer, vor allem Spanien und Italien. Beide Länder haben eine breitere Verlagslandschaft, es gibt große Gruppen und Konzerne wie Mondadori oder Planeta, die auch in der Krise in Frankfurt immer noch sehr elegante Auftritte hinlegen. Aber man darf sich von üppigen Kunstbildbänden, von Flachbildschirmen und Espressobars nicht einlullen lassen. "Die Schönheit des Landes", schrieb Nikos Dimou, "lastet auf unserer Seele wie die Schatten unserer Ahnen", und etwas von diesem Gefühl findet man auch in den romanischen Ländern.

Und das Geschäft? Wir sprechen mit Javier Cortés Soriano, dem Präsidenten des spanischen Verlegerverbandes, einem hochgewachsenen Patriarchen. Er zeichnet ein düsteres Bild. Der Umbruch sei riesig, die Hoffnung winzig. Viele Buchhändler seien am Ende, auch viele kleinere Verlage. Die Leute hätten einfach kein Geld mehr für Bücher übrig. Das Wachstum des E-Book-Marktes fällt in Spanien, wie auch in Italien, überhaupt nicht ins Gewicht. Die einzige Rettung für Spaniens Verlage ist im Moment, so Cortés, der Markt in Lateinamerika, nicht bloß die spanischsprachigen Länder wie Argentinien oder Mexiko, auch das aufstrebende Brasilien. So hat Cortés' eigener Verlagskonzern "Ediciones SM", der vor allem Schul-, Lehr- und Kinderbücher macht, 1300 Mitarbeiter alleine in der brasilianischen Metropole São Paolo. Auch die Hispanics in den USA würden als Zielgruppe immer interessanter.

"Die Krise zwingt uns zu einer Vertiefung Europas", ruft Daniel Cohn-Bendit in einer anderen Halle. "Wir erleben ein sich gegenseitig befruchtendes Zusammenspiel der Kulturen", sagte Außenminister Westerwelle bei der Buchmesseneröffnung am Dienstagabend. Besucht man die Verlage aus den Schuldenländern auf der Frankfurter Buchmesse, inmitten der Bankentürme und der deutschen Selbstgefälligkeit, so sieht man, was es jetzt vor allem braucht: Kluge, wache, nicht resignierende Menschen, die sich zu helfen wissen.

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