Schuberts Liedzyklus:Die Mysterien der Eiskristalle

Der britische Startenor Ian Bostridge, auch promovierter Historiker, hat "Die Winterreise" analysiert und dabei viele geheimnisvolle Schichten des Werks freigelegt.

Von Klaus Kalchschmid

Ian Bostridges Timbre ist wohl idealtypisch für einen englischen Tenor: mit seinem hellem, fast knabenhaftem Timbre und einer enorm klaren Diktion, egal in welcher Sprache er singt. Außergewöhnlich sind die Feingliedrigkeit von Körper, Gesicht und Gestik, die sich in seiner Stimme spiegeln. Ein solcher Sänger ist prädestiniert für die Intimität des Lied-Gesangs oder für das Œuvre Benjamin Brittens: vom Klavier- und Orchesterlied über das "War Requiem" bis hin zu Captain Vere ("Billy Budd") und Gustav Aschenbach ("Death in Venice").

Liedern von Britten war 1995 das erste Solo-Album des damals 31-Jährigen gewidmet. Sein jüngstes, 2013 aufgenommen, ist ebenfalls ein reines Britten-Album und enthält unter anderem die großartigen "Michelangelo Sonnets" und "Six Hölderlin Fragments". In "A Singer's Notebook" (2011) nehmen Bostridges locker gefügte, aber scharfsinnige Notizen zu Britten viel Raum ein, aber auch sein übriges Repertoire wird plastisch und sehr persönlich reflektiert: von Nerone in Monteverdis "Poppea" über Händel und Mozart bis zum deutschen Lied und zur zeitgenössischen Musik. Dieses Spektrum bildet auch die kürzlich erschienene 7-CD-Box ab, die den Lied- und Opernsänger Bostridge porträtiert, bis hin zum Luftgeist Ariel aus Shakespeares "The Tempest", den Thomas Adès für Bostridges apartes Timbre komponierte.

Franz Schubert hat Ian Bostridge seit Beginn seines Sänger-Lebens begleitet, zahlreiche Alben mit seinen Liedern sind erschienen, auch die "Winterreise" sang er immer wieder im Konzert. 1997 war er der einsam Reisende in unwirtlichen Innenräumen für einen großartigen Film von David Alden, 2004 entstand an der Seite von Leif Ove Andsnes eine leidenschaftliche Einspielung, bei der Bostridge an die Grenzen von Ausdruck und Stimme geht. Beides ist jetzt zusammen mit den beiden anderen Schubert-Zyklen in einer Box erschienen.

Diesem Kosmos der "Winterreise" hat Bostridge nun auch ein Buch gewidmet, das wie ein Kaleidoskop die verschiedensten Bezüge offenlegt, die der Brite bei seiner langjährigen Beschäftigung mit diesem faszinierend unergründlichen Zyklus entdeckte. Als promovierter Historiker spürte er intensiv den Einzelheiten nach, ob es nun um Eiskristalle geht, die Reise mit der Postkutsche oder die Frage, warum im Herbst die Blätter fallen.

Moderiert von Roland Spiegel, stellt Ian Bostridge sein Buch am Donnerstag, 3. Dezember, um 19 Uhr in der Black Box im Gasteig vor.

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