Schriftsteller Wolfgang Welt:Der Typ von der Tür

Er schrieb über seine sexuelle Frustration, wurde als "Aufsatz-Ayatollah" beschimpft und als Pop-Autor gefeiert - trotzdem ist Wolfgang Welt noch immer Nachtpförnter in Bochum.

Alexander Runte

Eine alte Zechensiedlung, daneben das Opelwerk und mittendrin ein Fußkosmetikstudio. Hier im eher robusten Bochumer Stadtteil Langendreer lebt der Mann, den manche für den größten lebenden Erzähler des Ruhrgebiets halten. Wolfgang Welt ist gerade aufgewacht und nicht sonderlich gut beieinander. Die Haare stehen wirr hoch über einem großen, runden, blassen Gesicht, er trägt Hausschuhe und ist ziemlich fahrig. Welt hat nämlich nicht nur "Sturm der Liebe" und "Wege zum Glück" verpasst, seine Lieblingstelenovelas, sondern muss nun auch erst einmal auf Touren kommen. Besucher bringen seine Tagesroutine immer ein wenig durcheinander, darum muss er sich erst einmal wieder hinsetzen, Mineralwasser trinken und vom mitgebrachten Stollen essen. Zeit genug ist ja. Warten ist kein Problem für Wolfgang Welt.

Schriftsteller Wolfgang Welt: Wolfgang Welt und Bochum, das ist keine große Liebe, eher eine Gewohnheitssache. Das Foto entstand um 1980.

Wolfgang Welt und Bochum, das ist keine große Liebe, eher eine Gewohnheitssache. Das Foto entstand um 1980.

(Foto: Foto: Andreas Böttcher)

Er ist an diesem Nachmittag nicht nur erst um vier aufgestanden, wegen der Medikamente hat er auch noch schlecht geschlafen. Welts Schicht als Nachtportier im Bochumer Schauspielhaus beginnt zum Glück später am Abend, und so schlägt er einen Abstecher ins Restaurant seiner Schwester vor, bevor wir uns gemeinsam in seiner Schicht die Nacht um die Ohren schlagen werden. In der "Marktbörse" bestellt er Schweineschnitzel und ein kleines Pils. Das Restaurant liegt nicht weit vom Haus seiner Eltern auf der Wilhelmshöhe entfernt, dieser alten Zechensiedlung, die schon mal bessere Tage gesehen hat. Was man übrigens auch über Wolfgang Welt sagen kann.

Anfang der achtziger Jahre machte er als Pop-Autor Karriere. Nach abgebrochenem Studium und Plattenverkäuferjobs schrieb er für Stadtmagazine, für avancierte Popmagazine wie Sounds oder den Musikexpress. Er verriss in einem viel beachteten Essay den Sänger Heinz Rudolf Kunze, der ihn daraufhin in einem Leserbrief als "Aufsatz-Ayatollah" beschimpfte, und wurde von Herbert Grönemeyer darum gebeten, doch auch mal etwas über ihn zu machen. Nicht nur deshalb ist es eine große Ungerechtigkeit, dass Wolfgang Welt jetzt mit Mitte fünfzig darum bangen muss, ob das noch mal was wird mit ihm und der Literatur.

In seinen Texten vermischte er die Glamourwelt des Pop mit seinem eigenen Loserleben in Bochum, wo er mit Fußballkumpels soff, immer noch bei seinen Eltern wohnte und sexuell zeit seines Lebens mit Vollgas im Leerlauf unterwegs war. Darüber schrieb er "Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe" und den autobiographischen Roman "Peggy Sue". Er wollte Menschen ein Denkmal setzen, die sonst nicht mal einen Grabstein bekommen hätten, erzählt er beim Schnitzel. Mit seinem neuen Buch "Doris hilft", das im Februar bei Suhrkamp erscheint, wird sich entscheiden, ob er den Nachtportierjob endlich an den Nagel hängen kann. In dieser Form sei das Schreiben bisher nur "Ausgleich zum Rest meines beschissenen Lebens". Zweites Pils. So einfach sei das.

27 Jahre arbeitet er jetzt schon als Nachtportier. Seit 1991 im Schauspielhaus Bochum. Ohne Urlaub, ohne Unterbrechungen, wenn man einmal von einem Literaturstipendium absieht und den Aufenthalten in der Psychiatrie.

Dieter Thomas Heck hat alles kaputt gemacht

Die Chance, erneut als Schriftsteller aufzutreten, wäre für Welt wahrscheinlich nie gekommen, wenn sich nicht Peter Handke für ihn bei Suhrkamp eingesetzt hätte. So erschien 2006 "Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe" endlich da, wo Wolfgang Welt schon immer hingehörte. Nur: Von 3000 verkauften Taschenbuchexemplaren kann man nicht leben. Auch nicht in Bochum, selbst wenn man noch bei seinen Eltern wohnt.

Mit der S-Bahn fahren wir zum Schauspielhaus. Ein Nachkriegskunstkasten, durch dessen Seiteneingang hinein wir in Wolfgang Welts Kabuff kommen: Glasscheibe, Telefon, blau vor sich hin glimmende Überwachungsbildschirme. "Tja, so verbringe ich meine Abende", sagt er und macht das Radio an. WDR 4, Musik zum Träumen. Er kokettiert gern damit, nur noch deutschen Schlager zu hören, allerdings den vor 1965: "Danach kam Dieter Thomas Heck und hat alles kaputtgemacht."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es sich anfühlt, Stevie Wonder und Vater Beimer in einer Person zu sein.

Der Typ von der Tür

Roy Black findet er jetzt gut - für eine solche Einschätzung hätte ihm der Buddy-Holly-Fan Wolfgang Welt vor 25 Jahren Prügel angedroht. Er weiß das natürlich und grinst jetzt. Im Grunde hat sich Wolfgang Welt wahrscheinlich nie wirklich für die Musik interessiert. Aber im Gegensatz zu heute konnte man damals wenigstens noch vom Schreiben leben oder sogar bei etablierten Blättern Karriere machen, wenn man Ambitionen und eine interessante Haltung besaß. Nur hatte Wolfgang Welt so etwas nie. Sein einziger Antrieb für den Journalismus waren entweder das dringend benötigte Zeilengeld, das er sich mit seinem manischen Schreibstil schnell verdiente, oder die vage Chance darauf, vielleicht irgendeine Frau mit den Texten beeindrucken zu können.

Seltsam unambitioniert

Wolfgang Welt dreht sich schnell auf seinem Bürostuhl im Kreis, springt auf und rennt auf den Gang, wie er es häufig macht, wenn ihn etwas aufregt. Etwa die Geschichte mit Suhrkamp. Denn sein Roman wurde abgelehnt, nachdem sich sein Lektor ein Jahr Auszeit genommen hatte. Vielleicht hatte man damals noch Probleme, wenn der erste Satz eines Romans lautete: "Etwa zwei Jahre nach unserer ersten Begegnung machte mir Sabine am Telefon Aussicht auf einen Fick, allerdings nicht mit ihr selber, sondern mit ihrer jüngeren Schwester." Oder verstand es nicht, wenn sich der Rest des Romans atemlos um Fußball, seine große unerfüllte Liebe Ute ("Die soll sich mal melden, wenn sie das in der Zeitung liest"), und sein Lebensidol Buddy Holly drehte.

Wolfgang Welt schreibt in streng chronologischer Reihenfolge sprachlich seltsam unambitioniert sein Leben fort; einfach alles, was ihm gerade einfällt. Den besonderen Reiz bekommen seine Texte dadurch, dass Welt genauso ungerührt von seiner sexuellen Frustration erzählt wie vom Fußball, von seinen Anfällen ebenso offen wie von seinen Nachtwächtertouren. Doch als der Roman dann im Konkret Literatur-Verlag erschien, wurde er von seinem einstigen Förderer Diedrich Diederichsen in Spex verrissen.

Das Scheitern ignorieren

Fragt man Diederichsen heute, was er von Wolfgang Welt hält, sagt er, es sei Wolfgang Welts literarische Leistung gewesen, als einer der Ersten das eigene Nerd- und Fantum zu stilisieren. Doch dieser Vorteil, das Ungeschützte, Unbearbeitete aus Wolfgang Welts Texten sei zum Nachteil geworden. Wenn sich dieser Verriss damals zu einem Eckpunkt in der Biographie Wolfgang Welts entwickelt habe, tue ihm das aber leid. Denn, und das sagt Diederichsen nicht, jetzt stellt sich die Frage, ob es für den Schriftsteller Wolfgang Welt nicht einfach zu spät ist.

Den Kontakt zum Journalismus hat er schon längst verloren. Vor ein paar Jahren beschrieb er noch mal in einem Text für eine Sonntagszeitung, wie er mit dem Rauchen aufgehört hat. Und damit hatte sich das. Es gehört wahrscheinlich zu den Stärken Wolfgang Welts, aus all diesen Katastrophen seines Schreiberlebens eine stoische Grundhaltung entwickelt zu haben. Oder wie soll man sonst damit umgehen, wenn man merkt, dass es nicht mehr klappen wird mit der Schreiberkarriere? "Ja, gar nicht", sagt Wolfgang Welt.

"Wir haben noch gar nicht über den Wahnsinn geredet"

Halb eins. Warten. Bisher hat Wolfgang Welt nur Schlüssel entgegengenommen und Radio gehört. Erst wenn alle das Schauspiel verlassen haben, kann er seinen Rundgang machen. Bis dahin muss er sich auf dem Bürostuhl eben um sich selbst drehen. Das sei natürlich keine Arbeit, erklärt Wolfgang Welt, aber ihm ist ein Job, der ihn unterfordert, immer noch lieber als eine anstrengende Arbeit: "Wer nimmt denn einen wie mich noch mit 55?"

Er überlegt nicht lange, ob es richtig ist, dem anderen etwas zu erzählen. Weder in der Literatur noch im Leben. "Jetzt haben wir noch gar nicht über den Wahnsinn geredet", sagt er irgendwann unvermittelt. Tja, nein. Aber wir müssen ja: Denn das schnelle Popautorleben, die vielen Reisen und die durchschriebenen Nächte waren nur Symptome einer manischen Depression. Es endete damit, dass sich Wolfgang Welt eines Tages für J.R. Ewing hielt und in die Psychiatrie eingewiesen wurde.

In "Doris hilft" erzählt er von der Zeit danach, als das Pop-Establishment ihn als Verrückten schon verabschiedet hatte, und er komplett den Faden verlor, da sich neben der manischen Depression auch noch eine schizoide Persönlichkeitsstörung entwickelt hatte. Er hielt sich für Vater Beimer und für Stevie Wonder, nur blind sei er nicht gewesen. Es folgten wieder acht Wochen Psychiatrie. Seitdem muss er nicht nur Lithium, sondern auch das Neuroleptikum Haldol nehmen, das als unangenehmen Nebeneffekt einen dauerhaften Dämmerzustand erzeugt. 1999 setzte er die Tabletten mal ab. Wieder acht Wochen Psychiatrie und dann die doppelte Dosis Haldol.

So spannend wie die Tagesschau von vor 20 Jahren

Um zwanzig nach eins machen wir endlich den Rundgang. Türen kontrollieren, Lichter ausmachen, Fenster schließen. Nachtwächter im Schauspiel Bochum ist wahrscheinlich der langweiligste Job der Welt. Wolfgang Welt ist hier noch nie etwas passiert: keine Einbrecher, kein Brand, nur mal ein Intendant, der auf der Couch in seinem Büro schlafen musste, weil ihn seine Frau rausgeschmissen hatte. Um halb drei sind wir fertig. Dann gibt es, außer die Tagesschau von vor 20 Jahren im Fernsehen zu gucken, nichts mehr zu tun. Auf unseren Bürostühlen dämmern wir immer mal wieder weg, wahrscheinlich wegen der drei Bier.

Die Schicht endet um halb sechs. Die Putzfrauen kommen, und es ist nicht ganz klar, was jetzt aus Wolfgang Welt wird. Er hat die Hoffnung, vom Schreiben leben zu können. Seit einem Jahr hat er aber keine Zeile mehr geschrieben. "Ich weiß nicht, ob da noch was kommt", sagt er. Wenn es mit "Doris hilft" nicht klappt, wird er auch die nächsten zehn Jahre nachts im Schauspielhaus an der Pforte sitzen. Wenn der Nachtportier Wolfgang Welt dann in Rente geht, wird er Hartz IV beantragen müssen. Fragt man ihn dann, ob sich das alles trotzdem aus seiner Sicht auf irgendeine Art doch gelohnt habe, sagt er nur, man könne ja sehen, wo er gelandet sei. In "Doris hilft" steht der schöne Satz "Vielleicht war ja mein Leben das Buch und brauchte nicht mehr geschrieben werden."

Es bleibt die Hoffnung, dass dieser Satz, so schön er klingt, falsch ist.

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