Schriftsteller:Rückzug unter Bäume

Schriftsteller: Der algerische Autor Kamel Daoud, Jahrgang 1970, ist einer der wichtigsten Kritiker der repressiven gesellschaftlichen Verhältnisse in der arabischen Welt und ihrer Machthaber.

Der algerische Autor Kamel Daoud, Jahrgang 1970, ist einer der wichtigsten Kritiker der repressiven gesellschaftlichen Verhältnisse in der arabischen Welt und ihrer Machthaber.

(Foto: Bertrand Langlois)

Der algerische Autor und Kritiker arabischer Verhältnisse, Kamel Daoud, will nicht mehr schreiben.

Von Alex Rühle

Kamel Daoud ist einer der wichtigsten Journalisten und Autoren der arabischen Welt. Er war acht Jahre lang Chefredakteur des Quotidien d'Oran und machte mit seinen Artikeln aus dieser konservativen Zeitung eine der schärfsten Gegenstimmen zum Regime des Gerontotokraten Abdelaziz Bouteflika. Unermüdlich schreibt er in seinen Zeitungstexten und seit einigen Jahren auch in seinen Romanen gegen die verheerenden soziokulturellen Auswirkungen der islamistischen Theokratie in der arabischen Welt an. Selbst als er 2014 mit einer Fatwa belegt wurde, als also ein algerischer Geistlicher zu seiner Ermordung aufrief, trotzte er dieser Drohung: Er blieb im Land und verfasste weiterhin seine scharfzüngigen Kolumnen. Umso bizarrer, dass nun ein Text in Le Monde erreicht zu haben scheint, was seine eigentlichen Gegner, die fundamentalistischen Hassprediger, nicht geschafft haben: Kamel Daoud hat bekannt gegeben, dass er aufhören werde mit dem Journalismus.

Nach der Silvesternacht von Köln hatte Daoud zwei Texte veröffentlicht, die in internationalen Zeitungen, unter anderem auch der FAZ, gedruckt wurden. Darin hatte er den westlichen Medien eine "Reaktivierung alter Ängste vor einer Invasion der Barbaren nach dem Muster des Gegensatzpaares ,barbarisch - zivilisiert' " vorgeworfen. Er hatte dann aber selbst so eindringlich wie drastisch davor gewarnt, kulturelle Unterschiede zwischen der westlichen und der islamischen Welt, aus der die meisten Flüchtlinge kommen, zu ignorieren und die jungen Männer als notgeile Barbareninvasion beschrieben: "Der Andere kommt aus jenem riesigen schmerzvollen und grauenhaften Universum, welches das sexuelle Elend in der arabisch-muslimischen Welt darstellt, mit ihrem kranken Verhältnis zur Frau, zum Körper und zum Begehren." Die Integration könne kaum gelingen, solange "die Frau in der Welt Allahs verleugnet, abgewiesen, getötet, vergewaltigt, eingeschlossen oder besessen" werde.

Auf diesen Text reagierten in Le Monde 12 Historiker, Anthropologen und Soziologen, indem sie Daoud vorwarfen, er bediene mit seinen so polemischen wie pauschalisierenden Anschuldigungen "allein die islamophoben Phantasien eines immer größeren Teils der europäischen Öffentlichkeit".

Daoud fiel aus allen Wolken. In einer scharfen Replik in Le Monde schrieb er, er sei schockiert über diese Vorwürfe; es sei "illegitim" und skandalös, ihn "aus der komfortablen Sicherheitszone der Café-Terrassen von Paris" der Islamophobie zu beschuldigen, ihn, der seit Jahren die Theokratie in seinem Heimatland angreife. Er konstatiert, als arabischer Autor in einer interkulturellen Zwickmühle zu stecken: Dadurch, dass er in seiner Heimat die Theokratie angreife, befeuere er anscheinend in der Fremde den Hass auf und die Vorurteile gegen Muslime. Weshalb ihm nur bleibe, den Journalismus demnächst an den Nagel zu hängen: "Ich werde den Bäumen oder den Herzen zuhören. Lesen. In mir das Vertrauen und die Ruhe wiederherstellen."

Man kann sich leicht lustig machen über den hochfahrend pathetischen Ton dieser Zeilen. Aber dafür ist die Nachricht am Ende doch zu unheimlich, die Nachricht, dass ein Zeitungstext aus dem laizistischen Frankreich das schafft, was viele Jahre islamistischer Hetze nicht vermocht haben: eine der prononciertesten, mutigsten Stimmen Algeriens fürs Erste verstummen zu lassen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: