Schriftsteller: Hermann Kant - ein Aktivist der DDR ist tot

Hermann Kant

DDR-Schriftsteller Hermann Kant ist tot (Archivbild vom 2002)

(Foto: dpa)

Hermann Kant, einer der erfolgreichsten DDR-Autoren, ist gestorben. Der Funktionär wurde als Staatskünstler geschmäht. Ein Nachruf.

Von Lars Langenau

Kampfeslustig war er bis zum Schluss. Anfang Juni meldete er sich im Spiegel mit einem kurzen Statement zu Wort. In einem Leserbrief weist er in einem Portrait zu seinem 90. Geburtstag erhobene Vorwürfe harsch zurück. "Nachdem Alfred Kantorowicz die DDR verlassen hatte, habe ich keinen Brief an ihn geschrieben. Keinen Brief, keine Zeile, kein Wort."

Selbst in diesen dürren Zeilen über einen komplizierten Fall blitzt sein Duktus, seine Schreibkunst auf. Hermann Kant war ein Erfolgsschriftsteller, ein Großschriftsteller der DDR. Schlagartig bekannt und populär wurde der studierte Germanist 1965 mit seinem Roman "Die Aula". 650 000 Bücher wurden von dem Werk nach Angaben des Berliner Aufbau-Verlages bislang verkauft. Erfolgreich war auch sein Roman "Das Impressum" von 1972. Aber seine Fans preisen vor allem sein Schuld-und-Sühne Buch "Der Aufenthalt" von 1977 als Jahrhundertroman.Hier setzte er sich autobiografisch mit den Erlebnissen eines jungen Wehrmachtsoldaten in polnischer Kriegsgefangenschaft auseinander, die dann nach einem Drehbuch des großartigen Wolfgang Kohlhaase verfilmt wurden.

Selbst im Westen Schullektüre

Kants Bücher wurden in 20 Sprachen übersetzt. Auch wegen seines Sprachwitzes und seiner Neigung zur Satire galt "Die Aula" als "DDR-Roman schlechthin" und wurde selbst im Westen zur Schullektüre. Seine letzte Veröffentlichung, die Erzählung "Ein strenges Spiel", erschien 2015. Kaum jemand, so heißt es, habe den Apparat, den sich die DDR-Gesellschaft aufgebaut hat, so kompetent beschrieben wie Kant. Er setzte sich oft (selbst-)ironisch mit den systemimmanenten Konflikten und Widersprüchen beim Aufbau der Sozialismus in der DDR auseinander.

Freunde hatte er viele, schreibt jetzt das Neue Deutschland, das als erstes von seinem Tod berichtete und in dem er immer wieder selbst schrieb: eine in die Millionen gehende Leserschaft vor allem, aber nicht nur in der DDR. Nicht wenige blieben ihm auch nach dem Zusammenbruch der DDR treu und begleiteten seine literarische Auseinandersetzung, auch mit seinem Leben im ostdeutschen Staat und dessen Scheitern.

So waren die Plätze im Saal für die Feier zu seinem 90. Geburtstagsfeier im Landestheater Neustrelitz Mitte Juli lange vorher ausverkauft, schrieb die Berliner Zeitung vor einem Monat. Unter den Gästen des hochbetagten Publikums: Egon Krenz und der stellvertretende DDR-Kulturminister Klaus Höpcke. Die Liste der Gratulanten sagt schon ziemlich viel aus über diesen Mann, der als langjähriger Vorsitzender des DDR-Schriftstellerverbandes, Abgeordneter der Volkskammer und von 1986 bis 1990 als Mitglied im Zentralkomitee der SED aktiv war.

Für andere war er nur ein kalter Typ, der am Sonntag im Krankenhaus der Stadt in Mecklenburg-Vorpommern starb, die ihm kürzlich noch den schönen Empfang bereitet hatte. Zu seinen Feinden in Lebzeiten zählten Autoren, die sich von ihm als Funktionär gegängelt fühlten und ihn als verlängerten Arm des SED-Systems sahen. Kant müsse sich vorwerfen lassen, mitverantwortlich dafür zu sein, wie in der DDR mit bestimmten Autoren umgegangen wurde, die nicht "spuren" wollten. Aber auch westdeutsche Kritiker, die in ihm kaum mehr als einen angepassten Staatskünstler sahen. Und Leute, die ihm Kontakte zur Staatssicherheit vorwarfen. Anlässlich seines 80. Geburtstages schrieb die Süddeutsche Zeitung 2006, Kant sei der "viel gelesene und bestgehasste Schriftsteller der DDR".

Literaturnobelpreisträger Günter Grass würdigte Kant einst als Schriftsteller, übte aber harte Kritik an dessen Rolle in der DDR. "Ich habe Sie immer für einen begabten Autor gehalten und wenn Sie pauschal angegriffen werden, werde ich Sie immer als den Autor von Büchern wie "Der Aufenthalt" verteidigen. Aber ich werfe Ihnen Ihr Verhalten als Verbandspräsident vor, Sie sind an der Maßregelung von Schriftstellern beteiligt gewesen."

Auch der Lüneburger Literaturwissenschaftler Hans-Wolfgang Lesch meint, dass man bei Kant zwischen Autor und Funktionär deutlich unterscheiden müsse. "Kant ist - bei allen Vorbehalten - einer der wichtigsten Autoren der DDR-Zeit." Und auch bei der Bewertung seiner Verbandstätigkeit gebe es Autoren wie Werner Heiduczek, die erklärten, dass Kant vielen Schriftstellern auch geholfen habe.

Eins war er sicher: umstritten. Und äußerst schwer einzuordnen in Kategorien von schwarz und weiß.

Kant wurde am 14. Juni 1926 in Hamburg geboren, seine Eltern gingen mit ihm 1940 nach Parchim in Mecklenburg. 1944 leistete er Kriegsdienst, war von 1945 bis 1949 in polnischer Gefangenschaft, kam als überzeugter Antifaschist nach Berlin und trat umgehend in die SED ein.

Weder "Hofnarr" noch "Großinquisitor"

Er auch war Mitglied des PEN-Zentrums, ihm wurde vorgeworfen, Kollegen bespitzelt und der Stasi zugeliefert zu haben, Stefan Heym und andere kalt gestellt und sich bei der Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 für höhere Weihen in der DDR qualifiziert zu haben.

Allerdings setzte er sich auch tapfer für seinen Schriftstellerkollegen Erich Loest ein. Doch das, seine Ironie und Satire über den DDR-Alltag "ändert nichts daran, dass ich absolut verquickt bin mit dem, was man begreift als DDR", gestand er nach der Wende selbstkritisch. Kant selbst leugnet nicht, einem Regime auch als "Vorzeigepoet" gedient zu haben. "Das hat mich nicht gestört. Ich fand dieses Regime in Ordnung, mit all seinen Lücken und Fehlern." Er betonte zugleich: "Insgesamt habe ich aufgepasst, dass ich mich anständig verhalte."

Dem Spiegel sagte er 1990 klipp und klar: "Ich war ein Aktivist der DDR." Allerdings rechtfertigte er in der ein Jahr später erschienen Autobiographie "Abspann" seine Politik im Schriftstellerverband: Er sei weder "Hofnarr" noch "Großinquisitor" gewesen. Kant selbst hat immer betont, er habe an einem "neuen, besseren Deutschland ehrlichen Herzens mitbauen wollen". Und noch vor ein paar Monaten sagte er Nachrichtenmagazin am Telefon: "Ich war ein überzeugter Erbauer der DDR, ich wollte die. Ich wollte sie zwar nicht so, wie sie dann geworden ist, aber ich wollte einen Sieg. Das alte Deutschland wollte ich nicht mehr."

Zu den Kritikern, die sich um ein differenziertes Bild von ihm bemühten, schreibt das Neue Deutschland, gehörte der Feuilletonist Marcel Reich-Ranicki, der einmal über Kant schrieb: "Dieser Schriftsteller war und ist ein harter und intelligenter Gegner unserer westlichen Welt. Zur Herzlichkeit haben wir wahrlich wenig Grund. Aber doch zu einer knappen, respektvollen Verneigung." Einmal meinte er knapp: "Vielleicht ist er ein Halunke, aber schreiben kann er."

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