Schottischer Taschenspielertrick:Hängen geblieben

Lässt Chabrol grüßen? "Das Verschwinden der Adèle Bedeau" ist der Debütroman des Schotten Graeme Macrae Burnet, der im vergangenen Jahr mit seinem literarischen Suchspiel "Sein blutiges Projekt" auf der Shortlist des Man Booker Prize stand.

Von Christoph Schröder

Wie jeden Mittag sitzt Manfred Baumann im Restaurant de la Cloche und ordert das Menü. Da kommt ihm ein verrückter Gedanke, blitzartig: Wie wäre es, wenn er aufspringen und losbrüllen würde, dass er heute gerne einmal etwas anderes essen würde? Selbstverständlich tut Manfred Baumann das nicht, stattdessen lehnt er sich zurück, liest den Wirtschaftsteil der Zeitung und wartet auf seine Zwiebelsuppe. Das Leben geht seinen unveränderten Gang, jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr.

Der Schotte Graeme Macrae Burnet war im Jahr 2016 mit seinem raffiniert angelegten historischen Krimi "Sein blutiges Projekt", der auch ein literarisches Suchspiel war, für die Shortlist des Man Booker Prize nominiert. Nun hat sein Verlag Burnets Debütroman "Das Verschwinden der Adèle Bedeau" nachgereicht, und auch hier arbeitet Burnet mit einem kleinen Taschenspielertrick: Der Roman, so behauptet er im Nachwort, sei in Wahrheit das 1982 erschienene Werk eines Franzosen namens Raymond Brunet, das spätestens mit seiner Verfilmung durch Claude Chabrol in Frankreich Kultstatus erreicht habe. Eine Volte, die als Hommage wirkt an die Psychostudien Georges Simenons.

In einem Straßburger Bordell geht der Antiheld Baumann merkwürdigen Praktiken nach

Die Zeit steht still in Saint-Louis, einer 20 000-Einwohner-Stadt am Rand des Elsass. Die Menschen scheinen in einem Vakuum zu schweben. Sie gehen ihrer Arbeit nach, sitzen in Bars, spielen Karten, reden miteinander, vor allem aber übereinander. Manfred Baumann ist Direktor einer Bank in Saint-Louis. Er ist Mitte 30 und sieht gut aus. Und er ist ein Sonderling. Jeden Abend steht er im Restaurant de la Cloche und trinkt Wein, allein; einmal die Woche darf er am Kartenspiel teilnehmen; als Ersatz für einen verstorbenen Mitspieler.

Burnets Debüt ist zum einen die Darstellung der bleiernen, unendlich öden Kleinstadtatmosphäre, wo alles, egal, ob es in den 60er- oder, wie zu vermuten ist, tatsächlich in den frühen 80er-Jahren angesiedelt ist, sich immer gleich bleibt. Zum anderen ist Burnet ein durchaus feinfühliger Charakterzeichner. Seinem linkischen, verschwiemelten Antihelden Baumann, dessen größtes Vergnügen es ist, am Wochenende in einem Straßburger Bordell merkwürdigen Praktiken nachzugehen, stellt er eine nicht minder komplexbeladene Figur zur Seite: Kommissar Georges Gorski tritt auf den Plan, als Adèle Bedeau, die Kellnerin des Restaurants de la Cloche, eines Tages spurlos verschwindet. Baumann, der Sonderling, gerät automatisch in das Zentrum von Gorskis nicht eben großen Verdächtigenkreis.

Auch Gorski ist ein Hängengebliebener, ein Unzufriedener, der gegen die gesellschaftlichen Ambitionen seiner Ehefrau zu bestehen hat und dabei nicht den Hauch einer Chance hat. Dass es eine Verbindung gibt zwischen Baumann und Gorski, die über das Verschwinden der Kellnerin hinausreicht, wird schnell klar. Einigermaßen ärgerlich aber ist, wie lieblos und uninspiriert Burnet dem Leser am Ende in einer Antiklimax die Auflösung des vermeintlichen Kriminalfalls vor die Füße klatscht.

Graeme Macrae Burnet: Das Verschwinden der Adèle Bedeau. Aus dem Englischen von Claudia Feldmann. Europa-Verlag, München 2017. 288 Seiten, 17,90 Euro.

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