Schinkel-Kirche:Demoliert

Risse in der Decke, Risse in der Apsis: Ein Bauprojekt setzt der Friedrichswerderschen Kirche in Berlin zu.

Von Jens Bisky

Vor der Friedrichswerderschen Kirche lungern mehrgeschossige Baucontainer, ein üblicher Anblick in dieser Mitte der Stadt, ganz nah beim Neubauschloss, dem drohenden Einheits- und Freiheitsdenkmal, der Bauakademieattrappe. Die Container verschönert ein Werbebildchen. Ein Dachpool ist zu sehen, gefaltete Handtücher auf einer Liege, ein Sektkühler. Man möchte die Menschen nicht näher kennenlernen, die sich von solchen Szenen beeindrucken lassen. Mehr als drei Sterne verdient nur der Posterblick Richtung Westen, vorbei an der Kuppel der Hedwigs-Kathedrale, hin zu den Gendarmenmarkt-Türmen. "Tauchen Sie ein in Berlins historische Mitte", steht auf dem Bildchen. Für die "Kronprinzengärten" wird geworben, ein Vorhaben der Bauwert Investment Group, die "höchste Wohnansprüche mit der Exklusivität einer einzigartigen Lage verschmelzen" will.

Seit die Baugrube für die Kronprinzengärten ausgehoben wurde, geht es der Friedrichswerderschen Kirche an den Kragen: Risse in der Gewölbedecke, herabfallender Putz, ein Riss in der Apsis bis zur Altarstufe hinab, Marmorstufen zerbrochen, Senkungen, Risse überall.

Im Herbst 2012 wurden die ersten Schäden bekannt. Die Kirche beherbergte damals eines der feinsten Museen Berlins: Skulpturen des preußischen Klassizismus, Schadow, Tieck, Rauch. In guten Jahren kamen 170 000 Besucher. Ende 2012 musste die Kirche geschlossen werden. Wann sie wieder öffnet? Genau weiß man das nicht. Wahrscheinlich erst dann, wenn einige wenige so richtig eingetaucht sind in die historische Mitte. Der Berliner Kunstfreund aber wird seit 2012 von Wellen der Wut geflutet.

Die Kirche ist nicht irgendeine, sie ist ein Hauptwerk Karl Friedrich Schinkels: errichtet 1824 bis 1830, saniert zum Stadtjubiläum 1987, noch einmal saniert Ende der Neunziger. Gibt es in Berlin noch ein Gebäude Schinkels, das so gut erhalten ist, so getreu wiederhergestellt wurde wie die Friedrichswerdersche Kirche? Nein.

Sie bezauberte dank der Verbindung von Mittelalterstil und größter Einfachheit, war Backstein-Traumbild des romantischen Historismus, frei von Angestrengtheiten, zierlich, hübsch proportioniert.

Nach einer Anfrage der Linken-Abgeordneten Katrin Lompscher hat die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher im Frühjahr den Sachstand zusammengefasst. Unbestritten ist der Verursacher des Schadens, die Bauwert Investment Group. Sie zahlt dafür, übernimmt Sanierungskosten. Durch "ein System sogenannter Hebungsinjektionen" sei es inzwischen gelungen, die Senkung der Kirche teilweise zu stabilisieren und "eine teilweise Hebung der Senkungen durchzuführen". Gut, Fachleute kümmern sich, ein Messsystem warnt, sollte es zu neuen Schäden kommen. Die sind nicht unwahrscheinlich, östlich der Kirche wird noch ein prätentiöses Bauvorhaben realisiert. Die Gegend war zu Schinkels Zeit dicht bebaut. Deswegen klotzt man heute da. Die Architektur der neuen Häuser hat einen Vorzug: Man muss den Blick nicht vom Smartphone lösen, es lohnt nicht, die Hochwertigkeit anzuschauen.

Sollte die Friedrichswerdersche Kirche eines Tages wieder öffnen, wird Schinkels Traum-Raum dunkler wirken, zu dicht stehen die viel zu hohen Wohnanlagen. Wo ist eigentlich der Denkmalschutz, wenn man ihn mal braucht? Er hat nicht verhindern können, dass man das Kleinod der Schaumwein-Exklusivität opferte.

Ja, die Schäden werden sachgerecht reguliert. Aber wer entschädigt für die Jahre ohne die Friedrichswerdersche Kirche? Als Kronprinzen noch eine Rolle spielten, trösteten sich die Preußen, dass es Richter gebe in Berlin. Im Zeitalter der Kronprinzengärten scheint es sogar an Klägern zu mangeln.

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