Schiffbruchdrama "The Deep" im Kino:Wunder der Polarnacht

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"The Deep" erzählt die wahre Geschichte von einem Schiffsunglück in den Achtzigerjahren. (Foto: MFA)

Der isländische Film "The Deep" erzählt vom rätselhaften Überleben eines Schiffbrüchigen. Regisseur Baltasar Kormákur inszeniert die wahre Geschichte in sanften Bildern. Das Außergewöhnliche nimmt im Kino zusehends gewöhnliche Züge an.

Von Philipp Stadelmaier

Eine Gruppe Seeleute fischt auf dem frostigen Nordatlantik vor den Westmännerinseln. Die Stimmung an Bord ist so rau wie das Wetter an der Südküste Islands, der Kaffee so schwarz wie die Polarnacht. Gesprochen wird nicht viel. Plötzlich geht ein Ruck durch den Kahn: das Netz hat sich am Meeresgrund verhakt, das Schiff kentert - und schon hat die Tiefe alle verschlungen. Bis auf einen, der auf dem Wasser einsam zurückbleiben wird: Gulli. Sechs Stunden wird er durch die eiskalte See zurück ans Land schwimmen und weitere zwei Stunden zur nächsten Siedlung laufen. Sein Überleben grenzt an ein Wunder.

Bei dieser Geschichte, die der Isländer Baltasar Kormákur in "The Deep" erzählt, handelt es sich um einen wahren Vorfall aus den Achtzigerjahren. Eine Geschichte, die durch das schiere Überleben von Gulli einerseits bestätigt und andererseits unglaublich ist.

Was sich nach dem Schiffbruch abspielt, das zeigt Kormákur in Bildern, die ebenso klar sind, wie ihnen noch in den natürlichsten Erscheinungen eine sanfte Spur des Phantastischen anhaftet. Da wird Gulli auf seinem Weg ans Land von einer Möwe begleitet, mit der er sich unterhält, und seine unter der Wasseroberfläche grell schimmernde Hose korrespondiert mit den grünen Nordlichtern, die über ihn hinwegziehen.

Man kann hier manchmal an die phosphoreszierenden Fischschwärme in Ang Lees "Life of Pi" denken, und an den Tiger, mit dem der Schiffbrüchige in diesem Film durch die Südsee dahintrieb. Im Kino gibt es auf dem leeren, weiten Meer immer etwas zu entdecken.

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Anders als "Pi" ist "The Deep" aber keine großzügige Phantasmagorie. Unter Wasser treiben, grünlich, gespenstisch und opak, die Leichen von Gullis Freunden. Und das Meer ist hier auch nicht türkisfarben, sondern tiefschwarz. Bald wird Gulli das bunte Ölzeug abstreifen, um besser schwimmen zu können - und um besser mit der Dunkelheit zu verschwinden, während er sich nach und nach aus ihr rettet.

Er kämpft sich durch eine riesige schwarze Wand: An Land türmen sich sogleich unüberwindliche Felsen vor ihm auf, und wenn er diese endlich bezwungen hat, schimmert pechschwarzer Granit unter einem gefrorenen Schneefeld. Als würde ihn nur dieser dunkle Wall von seinem Tod trennen, das Geheimnis seines eigentlich unmöglichen Überlebens verhüllen. Später stehen die Ärzte vor einem Rätsel, Gulli auch.

Der Überlebende taugt nicht mehr als Integrationsfigur

Ólafur Darri Ólafsson spielt exzellent diesen robusten, korpulenten und introvertierten Typen, der nicht recht weiß, wie ihm eigentlich geschieht. Ein wenig erinnert er auch an Seth Rogen oder den kürzlich verstorbenen James Gandolfini - an einen großen Bruder, an einen Paten.

Noch im Meer überlegt er sich, wie er die Angehörigen seiner ertrunkenen Kollegen wird trösten können: Wenn er überleben will, dann aus Sorge für diese kleine Gemeinschaft auf den nordischen Inseln, die den rohen Naturgewalten schutzlos ausgeliefert ist, der See und den verheerenden Vulkanausbrüchen, an die er sich in Flashbacks erinnert.

Derjenige, der im Ertrinken Gott anschreit, er möge ihn leben und zu den Seinen zurückkehren lassen, ist auserwählt worden. Und später wird Gulli dann wirklich die Frau und die Kinder seines ertrunkenen Freundes in den Arm nehmen. Aber diese Szene ist so sanft, dass sich Gullis Präsenz beinahe aus ihr ablöst. Er wird wieder fortgehen, einsam, traurig. Dem Tod entronnen kann er die Lebenden nur noch streifen, und damit taugt der Überlebende nicht mehr als Integrationsfigur: Wem sollte das auch helfen, dass einer stundenlang im eiskalten Meer schwimmen kann?

"The Deep" zeigt, dass das Außergewöhnliche im Kino zusehends höchst gewöhnliche Züge annimmt. Wie sehr anders war das noch in Peter Yates' "The Deep" von 1977, wo Jacqueline Bisset und Nick Nolte nach Schätzen tauchten. Das Spektakel der Tiefe: Die Zeiten sind vorbei. Das Schiffswrack am Meeresgrund, das am Anfang zu sehen ist, ist keine Attraktion, sondern ein kalter Sarg, dem Gulli nur entronnen ist, um bald endgültig zu ihm zurückzukehren.

Djúpið , Island/Norwegen 2011 - Regie: Baltasar Kormákur. Buch: Jón Atli Jónason, Kormákur. Kamera: Bergsteinn Björgúlfsson. Mit Ólafur Darri Ólafsson, Jóhann G. Jóhannsson. MFA, 96 Minuten.

© SZ vom 02.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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