Schauspielerin Léa Seydoux:Schöne Querulantin

Die Schauspielerin Léa Seydoux ist Frankreichs regierende Kindfrau und die neue Lieblingsfranzösin Hollywoods. Warum? Ein Treffen in ihrem Pariser Café macht die Sache noch geheimnisvoller.

Joachim Hentschel

Lea Seydoux

Lea Seydoux bei der Vorstellung von "Les Adieux De La Reine" bei der Berlinale im Februar 2012.

(Foto: Getty Images)

Lieber gleich raus mit der Sprache. Lieber gleich auf den Tisch mit den ganzen nichtsnutzigen Traumbildern, die einem im Kopf herumspuken, wenn man Léa Seydoux betrachtet.

Cannes-Bildbände. Verblasste Plattencover. Sixties-Dokumentationen auf Arte. Solche Bilder sind das. Man sieht die Ahnen- und Evolutionsreihe des französischen It-Girls an sich vorüberziehen, und immer ist da diese wahnsinnige, hauchdünne Lücke zwischen den Vorderzähnen. Wenn es hier einen roten Faden gibt, dann führt er durch diese Zahnlücke. Man denkt an: Brigitte Bardot, Françoise Hardy, Vanessa Paradis, Laetitia Casta.

Spricht man Mademoiselle Seydoux direkt darauf an, auf diese Aura, die so viele Regisseure, Fotografen, Modemacher derzeit fasziniert, dass ihre Existenz schwer zu leugnen wäre - dann leugnet sie auch nicht. Sie sagt nur, dass sie das alles überhaupt nicht interessiere. Dass man sie doch stattdessen lieber nach dem Tod fragen solle. Über den sie oft nachdenkt.

Wann denn zuletzt? "Heute früh." Es ist zehn Uhr morgens in Paris. Und Léa Seydoux, der man ihre 27 Jahre keinesfalls ansieht, macht unmissverständlich klar, dass sie jetzt das Thema wechseln möchte.

"J'aime le cinema!"

Ein Café zwischen afrikanischen Friseuren und Handyschrottläden im 10. Arrondissement, bahnhofsnah. Seydoux wohnt um die Ecke, ist extrem pünktlich. Sie trägt einen roten Aigle-Pullover, darunter ein Levi's-Jeanshemd, burschikos. Zieht bald beides aus, um sich besser am Rücken kratzen zu können, sitzt für den Rest des Gesprächs im schwarzen T-Shirt da, Aufdruck: "J'aime le cinema!"

Das Kino, man kann das so sagen, erwidert diese Liebe. Quentin Tarantino zum Beispiel, der sie eine der Töchter des Milchbauern spielen ließ, ganz am Anfang von "Inglourious Basterds". Oder Ridley Scott, als er für seinen "Robin Hood" eine junge französische Königin brauchte. In "Midnight in Paris" von Woody Allen sah man sie als Owen Wilsons Pariser Muse, süß und allwissend, danach schoss sie sich als kaltblonde Killerin durch den vierten Teil von "Mission: Impossible" und erledigte gleich am Anfang den Kollegen von Tom Cruise. Léa Seydoux ist nicht nur die regierende Kindfrau des französischen Kinos, etwa in Benoît Jacquots Berlinale-Eröffnungsfilm "Leb wohl, meine Königin", wo sie herrlich mies gelaunt Marie Antoinettes Vorleserin spielte; sie ist auch die aktuelle Lieblingsfranzösin Hollywoods. Was Hollywood aber vielleicht noch nicht gemerkt hat, weil jeder der Regisseure sich fieberträumend einredet, er habe sie als Erster entdeckt.

"Die Frage, mit welchem Regisseur ich arbeite, ist mir viel wichtiger als das Drehbuch oder die Rolle", sagt Léa Seydoux, und einen Moment lang klingt das, als wäre sie selbst es gewesen, die all diese berühmten Filmemacher aus ihrer Filmografie erwählt habe - und nicht umgekehrt. "Es geht ja nicht um Dialoge und Charaktere, sondern um eine Vision, in die man sich hineinbegibt. Ein guter Regisseur weiß auch, dass der Film nie so werden kann, wie er ihn entworfen hat. Realität schlägt immer die Fiktion."

Woody Allen zum Beispiel, ihr Favorit, habe sie ungehindert spielen, eigene Sätze erfinden lassen. Obwohl auch er vor dem "Midnight in Paris"-Dreh noch nie von ihr gehört hatte. Am Filmende lässt er Léa Seydoux mit Owen Wilson auf der Pont Alexandre III stehen, nachts, die Kamera himmelt sie besonders bodenlos an, und in exakt dem Moment beginnt es zu regnen. Szenische Liebesgeschenke wie dieses hat der alte Allen zuletzt nur Scarlett Johansson gemacht.

Schöne Querulantin

Auch jetzt, an diesem Pariser Morgen, sieht sie aus wie von einer Kamera überhöht, leicht transparent, illuminiert. Aber auch ungeduldig. Wenn sie ausdrücken will, dass ihr etwas egal ist, verzieht sie ihr Gesicht so sehr, dass rein durch den mimischen Aufwand längere Redepausen entstehen.

Von der Leinwand kennt man diesen schwer verständlichen Blick zwischen Melancholie und Giftigkeit, dunkel, genervt, weltmüde, stellvertretend leidend. Nicht distanziert, eher wie die Aufforderung, auf sie zuzustürzen wie auf einen Abgrund - erst recht in ihrem aktuellen, großartigen Film "Winterdieb", gedreht von der Schweizerin Ursula Meier, auf Festivals gefeiert und beim Oscar eingereicht. Léa spielt das Mädchen Louise, das in einer Hänsel-und-Gretel-Konstellation mit dem kleinen Bruder in einem Wohnblock im Alpen-Wintersportgebiet haust, ohne Eltern. Der Junge ernährt die beiden durch den Verkauf geklauter Skier, während Louise tagelang mit Männern unterwegs ist, maulfaul und eigentlich minimal liebenswert, trotzdem reißen sich alle um sie. Und die Art, wie sie das ausnutzt, macht dieses Mädchen zu ihrer bisher fiesesten Rolle.

Die unglücklich Verliebte

"The Panic in Needle Park", das Fixerdrama mit Al Pacino aus dem Jahr 1971, sei der erste Film gewesen, der sie als Kind fasziniert habe, sagt sie ganz ohne Zögern. Als düstere Verzauberung natürlich, als Gruß von der anderen Seite. Damals war sie zehn, fing an, die vielen Kinos im privilegierten Viertel St. Germain zu besuchen, hineingewachsen in eine Filmfamilie. Großvater Jérôme Seydoux leitete die Produktionsfirma Pathé, sein Bruder Nicolas war Chef von Gaumont, nichts davon habe sie damals mitbekommen, sagt sie. Mit dem Spielen fing sie - so die offizielle Version - mit 18 nur deshalb an, weil sie unglücklich in einen Schauspieler verliebt war und ihn gleichzeitig imitieren und eifersüchtig machen wollte.

"Schon als Kind habe ich mir wahnsinnig viele Gedanken über mein Leben und den Tod gemacht", sagt Léa Seydoux dann mal so. Die Mutter, die im Senegal eine Kinderhilfe aufbaute, habe sie oft mit nach Afrika genommen, das habe sie sensibel gemacht, Fragen ans St.-Germain-Dasein in sie gepflanzt. "Gar nicht mal sozialkritisch, eher existenziell. Geistig war ich weiter als die anderen. Oft kommt es mir sogar so vor, als wäre ich seit damals nicht mehr erwachsener geworden."

Und wieder wartet man in diesem Moment auf die tiefen Erkenntnisse, die sie ankündigt, auf ihre Einsichten über Leben, Tod und den ganzen Rest. Es kommt nur nichts mehr, und Nachfragen hilft nichts. Da kriegt man nur schöne Grimassen.

Ein Abgrund an frühreifer, tiefer Lebensweisheit

Vielleicht ist Léa Seydoux ja wirklich sehr viel schlauer als die anderen großen It-Girls vor ihr. Ganz sicher ist sie klug genug, so zu tun. Ob sie nun auf den Titelseiten von coolen Modeheften erscheint, in der Prada-Kampagne, im Gaultier-Kleid auf dem roten Teppich. Oder ob sie im Kino aus der Dunkelheit guckt, abschätzig und verführend, ein Abgrund an frühreifer, tiefer Lebensweisheit, vielleicht auch wirklich dämonisch genervt.

Und nichts zeigt diese Ambivalenzen schöner als diese Godard-Anekdote, die sie am Ende einerseits preisgibt, und andererseits auch wieder nicht. Einmal, in einem Fernsehinterview, hatte Seydoux gesagt, wie gerne sie die Telefonnummer von Jean-Luc Godard hätte. Wenige Tage später klingelte ihr Handy, und Godard war dran.

Leicht herrisch sagte er, ein Freund habe ihm von der Sache erzählt, ob man sich treffen wolle? Am besten gleich morgen, im Hotel. Fand sie das nicht sonderbar? "Das ist so seine Art. Wie man hört." Und, drängelt man weiter, weil sie schon wieder diese herrlich desinteressierte Schnute zieht: Was kam heraus bei der halbstündigen Begegnung? "Wir haben über das Kino gesprochen. Und waren nicht einer Meinung."

Jean-Luc Godard muss hinterher fuchsteufelswild gewesen sein. Oder bis über die Hirnschale verliebt. Oder beides.

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