Schauspiel Zürich:Lieber nicht

Eine Ausdünnung - und eine Enttäuschung: Christoph Marthaler gibt in Zürich vorzeitig auf.

Christine Dössel und R. Freuler

(SZ vom 18.6. 2003) - Christoph Marthalers jüngste Theaterinszenierung, eine Arbeit für die Volksbühne Berlin, trug die Verweigerungshaltung schon im Titel:

"Lieber nicht. Eine Ausdünnung" nannte er seine Bearbeitung des Bartleby-Stoffes von Herman Melville. Bartlebys zentralen Satz "I would prefer not to / Ich möchte lieber nicht ..." hat sich der Chef des Zürcher Schauspielhauses nun zu eigen gemacht:

Wie er gestern bekannt gab, verlässt er das Schauspielhaus zum Ende der Saison 2003/2004 vorzeitig. Seine Entscheidung rechtfertigte er mit "gesundheitlichen Gründen" und der "nicht mehr tragbaren Belastung". Soll heißen: Ich möchte lieber nicht mehr.

Die Frage, ob Marthaler seinen Fünfjahresvertrag als künstlerischer Direktor des Zürcher Schauspielhauses erfüllen wird, war bis zuletzt heiß diskutiert und schwer zu beantworten.

Nachdem Marthaler im vergangenen Herbst wegen Missmanagements und schlechter Auslastung auf spektakuläre Weise gekündigt worden war, hatte es solche Protest- und Solidaritätsstürme gegeben, dass der Verwaltungsrat seine Entscheidung noch einmal zurücknahm und dem Intendanten als "Hoffnungsvariante" eine weitere Saison gewährte.

Das Marthaler-Theater erhielt noch einmal eine Bewährungsfrist und nahm die Krise als Chance. "Groundings - Eine Hoffnungsvariante" nannte der Regisseur durchaus selbstironisch das Krisenbewältigungstheater, das er daraufhin mit großem Erfolg auf die Bühne brachte.

Vordergründig handelte es von der Pleite der Swissair, aber es nahm auch die eigene Pleite auf die Schippe - und den Sinkflug bereits vorweg. Das Marthaler-Theater ist nun endgültig "gegroundet". Weniger euphemistisch muss man von Scheitern sprechen.

Nach Wochen des Wartens stellten sich Marthaler, seine Chefdramaturgin Stefanie Carp, Verwaltungsratspräsident Eric L. Dreifuss sowie Verwaltungsratsmitglied und Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber gestern den Medien. Das Interesse war zwar groß, die Stimmung dagegen säuerlich.

Wozu brauchte man so lange für diese Entscheidung, die offenbar einer Bankrotterklärung gleichkommt? Bereits bei früheren Anfragen hatten doch Marthaler/Carp immer wieder deutlich gemacht, dass sie zu keinen künstlerisch und folglich finanziell unbeschränkten Konzessionen bereit seien.

Zwar hat man das errechnete Defizit von 2,5 Millionen Franken im Budget der Saison 2004/2005, das bereits zum vierten Mal aus Kürzungen durch den Kanton entstanden ist, bereits auf 1,7 Millionen heruntergerechnet: ein verkleinertes Repertoire, mehr Wiederaufnahmen, weniger Gäste - doch das reicht nicht.

Gegen Entlassungen

Für weitere Einsparungen wären Entlassungen nicht zu vermeiden gewesen, was Marthaler/Carp jedoch nicht in Kauf nehmen wollten. "Es kommt nicht in Frage, dass wir Leute entlassen, die uns während der ganzen Zeit unterstützt haben."

Aber bleiben denn nun Marthalers Nachfolger Kündigungen überhaupt erspart? Wo genau man den Rotstift ansetzen wird, kann oder will der kaufmännische Direktor, Andreas Spillmann, nicht sagen. Zur Verfügung stehen logischerweise nur zwei Bereiche: Personal und Struktur.

Da die Stadt vorerst nicht bereit ist, den Schiffbau zu kaufen, wodurch beim Schauspielhaus weiterhin jährlich über zwei Millionen Franken Zinsen anfallen, werden vermutlich doch die Angestellten betroffen sein. Ebenso anzunehmen ist aber auch, dass das Thema Schiffbau, das eigentliche Sorgenkind unter den drei Spielstätten des Schauspielhauses, langfristig noch nicht vom Tisch ist.

So groß die Enttäuschung vieler auch sein mag, die Marthalers Theater mit Sponsorengeld oder als Demonstranten auf der Straße unterstützt hatten - es wird deutlich:

diese "Gegner" wären sich in nächster Zeit kaum einig geworden. Wenn man allerdings bedenkt, wie Andreas Spillmann betont, dass ein Theatergebäude normalerweise der öffentlichen Hand gehört, wird die Diskussion - unter neuen, vielleicht kompromissbereiteren "Gegnern" - weitergehen.

Vorerst wird das Schauspielhaus diesen Teufelskreis aber noch nicht verlassen können: wegen der Zinsen und Ersatzinvestitionen, kündigte Spillmann an, benötige man einen Fonds, der das Budget zusätzlich belasten werde.

"Ich mag nicht mehr"

Dass Marthaler zuletzt keine Lust mehr hatte, war ein offenes Geheimnis.

Mit dem Satz "Ich mag nicht mehr. Ich bin nicht der richtige Intendant. Die Belastung ist zu groß", geäußert auf einer Sitzung, wurde er jüngst erst in der Weltwoche zitiert. Woraufhin seine Co-Direktorin Stefanie Carp ihm ins Wort gefallen sein soll:

"Du machst ja gar nichts."

Carp gilt als die eigentliche Managerin des Hauses, diejenige, die de facto die Arbeit macht. Es gab bereits Überlegungen, ihr die Intendanz ganz anzuvertrauen, so dass Marthaler, der Künstler, sich auf seine Arbeit als Regisseur konzentrieren könnte.

Dass nun beide den Büttel hinschmeißen, muss viele frustrieren, die für dieses Theater gekämpft haben. Die beiden kannten die schwierigen Rahmenbedingungen. Warum haben sie dann nicht gleich die Konsequenzen gezogen?

Wer immer die Nachfolge antreten wird - nach wie vor ist Stephan Müller, der frühere Co-Direktor des Zürcher Theaters am Neumarkt, im Gespräch, der allerdings heftig dementiert -, er wird den bitteren Nachgeschmack nicht aus dem Haus kriegen.

Mit Marthaler ist ein Modell des kreativen Künstlers als Intendant gescheitert. Die Zukunft gehört den Managern.

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