Schauspiel:Wie man die verfluchten Erzeuger los wird, Teil III

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Der Vater ist immer dabei: Julius Forster als Hamlet (vorne), Klaus Rodewald als dessen toter Vater. (Foto: Christian Kleiner)

Elmar Goerden komplettiert nach Inszenierungen von Ibsens "Wildente" und Lessings "Emilia Galotti" mit Shakespeares "Hamlet" seine runderneuerte Familientrilogie am Nationaltheater Mannheim.

Von Egbert Tholl

Am Ende hat Hamlet endlich seinen Willen. Knapp drei Stunden lang hat ihn der tote Vater verfolgt, hat ihm keine Ruhe gelassen. Er tauchte immer wieder auf, war irgendwie da, hat mit ihm diskutiert. Doch das eine, das Hamlet junior wirklich wollte, hat Hamlet senior nicht getan: den Namen ausgesprochen. Den Namen des Jungen, des eigenen Sohns. Nun endlich nennt er ihn beim Namen, erschafft seine Identität. Hamlet. Dann gibt er ihm einen Revolver, Hamlet geht ab, aus dem Off knallt ein Schuss - und nun sind wirklich alle tot.

Bei jeder Neuinszenierung von Shakespeares "Hamlet" darf man darauf gespannt sein, wie der Geist des toten Vaters auftaucht, der des alten Hamlet, den sein Bruder Claudius und seine Gattin Gertrud aus dem Weg räumten, um ein Paar werden zu können. Früher schritt der Geist bleich die Zinnen der Burgmauern entlang, heute spricht er mit seinem Sohn auch mal aus dem Fernseher. Oder ist einfach da, wie nun bei Elmar Goerden am Nationaltheater Mannheim. Freilich bleibt er auch hier ein Geist, nur sein Sohn spricht mit ihm, die anderen halten dies für Selbstgespräche. Er ist ein rechter Hallodri, dieser Vater, leicht verlottert, aber sexy - Klaus Rodewald trägt einen Smoking, die Fliege hängt offen um seinen Hals. Er schaut aus, als habe er eine wüste, aber sehr interessante Nacht hinter sich.

Goerden liest die Klassiker wie Geschichten, die man wieder und wieder erzählen kann, aber nicht als Mär aus fernen Zeiten, sondern als etwas, was sich im Moment ereignet. In Mannheim legte er in Ibsens "Wildente" und bei Lessings "Emilia Galotti" die Nöte der Hauptfiguren frei und überführte sie mit ein klein wenig Alltagssprache in eine vom Leben erfüllte psychologische Wahrheit. Bei "Hamlet" ist er nun radikaler: Er schreibt ein neues Stück. Achtzehn Szenen, die sich zwar an Shakespeares Drama entlang bewegen, doch allenfalls die Figurenkonstellationen und ihre Motive übernehmen. Kaum ein Satz fällt, den man kennt. Dennoch ist fast alles drin. Außer einigen Nebenfiguren, kein Horatio, kein Laertes, natürlich keine Höflinge, weil es keinen Hof gibt.

Goerden erzählt ein Geschachere um die Firma des alten Hamlet, die Gertrud und Claudius - bei Anke Schubert und Stefan Reck sind sie ein in zänkischer Geilheit tief verbundenes Paar - auf unterschiedliche Art zu Geld machen wollen; der Geist fürchtet auch um sein Lebenswerk. Polonius (der selbstlose, uralte Edgar M. Böhlke) ist bei ihm ein kriecherischer Schleimer, über den sich die Tochter Ophelia maßlos aufregt: Einst, so erfindet es Goerden, hatte Ophelias Mutter eine Affäre mit dem alten Hamlet, der ließ sie fallen, die Frau brachte sich um - und Polonius ließ sich sein Schweigen bezahlen. Ophelia fiel in Schwermut, zwei Jahre Klinik, acht Jahre Tabletten folgten, und Katharina Hauter macht aus dieser Geschichte eine faszinierende Studie tief sitzender Depression. Ihr Lächeln ist Schmerz und ihre Liebe ein Schrei nach Freiheit.

Damit gelangt man zu Goerdens Kern: das Drama des Erwachsenwerdens, der verzweifelte Versuch, den Einfluss der verfluchten Erzeuger loszuwerden. Sein Hamlet heißt Julius Forster, ist 22 Jahre alt, groß, schlank, schön und von enormer Klugheit. Forster wirkt, bei allem Suchen seiner Figur, gleichermaßen zerrissen und überlegen. So überstrahlt er seine beiden vermeintlichen Kumpel Rosencrantz und Guildenstern (so Goerdens Schreibweise), die hier in Gestalt von Matthias Thömmes und Sven Prietz als schwule Zicken ein witziges Pärchen bilden, blöd der eine, eitel der andere, mithin sind sie bestens geeignet, den Weihnachtsabend auf Vordermann zu bringen. In diesem kulminiert die Pubertätstragödie, man glaubt sich ein wenig bei Vinterbergs Film "Das Fest", allerdings gleißt hier alles in einem sardonischen Grinsen.

Das künstlerische Personal ist das der Vorgängerproduktionen Goerdens, wieder ragt eine leere, weiße Spielfläche ins Publikum, die Silvia Stengl und Ulf Stengl an einer Seite hochbiegen wie ein großes Blatt Papier. Gegenüber dieser Halfpipe macht wieder Helena Daehler Musik, begleitet Ophelia und Hamlet mit dem Soundtrack junger Wildheit, der den alten Figuren manchmal zu laut ist. Ein tönendes Bild des Innenleben Hamlets, bei dessen umfassender Schilderung sich Goerden gegen Ende ein bisschen zu sehr in Todesträumen verliert. Gleichwohl erzählt er eine alte Geschichte ruppig, spannend und psychologisch aufregend neu.

© SZ vom 02.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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