Schauspiel:Huckepack durch die Welt

Ein kleiner Verein schafft es seit 25 Jahren, großes Theater nach Gauting zu holen

Von Christine Dössel, Gauting

Wer in München wohnt, weiß ja oft gar nichts von der Bedeutung und dem Schaffen rühriger Kulturinstitutionen in den angrenzenden Landkreisen, wie zum Beispiel dem Bürger- und Kulturhaus Bosco in Gauting. Dass dort jemand wie der große alte Theaterweltreisende Roberto Ciulli gastiert, ist keine Ausnahme, sondern Programm. Seit fast 25 Jahren gibt es im Bosco den Verein Theaterforum, dessen Vorsitzender Hans-Georg Krause sich einen "Theaterverrückten" nennt. Er schaut und hört sich um in der deutschen Theaterlandschaft und lädt immer wieder anspruchsvolle Inszenierungen jenseits des üblichen Tourneebetriebs ein. Yael Ronens gefeiertes Stück "Common Ground" vom Berliner Maxim-Gorki-Theater war schon in Gauting zu sehen. Oder Oliver Reeses "Phädra" aus Frankfurt.

Das jüngste Gastspiel, Roberto Ciullis "Peer Gynt" vom Mülheimer Theater an der Ruhr, bescherte den Gautingern eine sehr spezielle Fassung von Henrik Ibsens "dramatischem Gedicht". Ciulli hat sie in enger Zusammenarbeit mit der Schauspielerin Maria Neumann nicht nur geschrieben und eingerichtet (Regie, Raum, Dramaturgie), er steht darin gemeinsam mit ihr auch selber auf der Bühne. Und zwar nur sie beide. Dieser "Peer Gynt" ist eine Theaterfantasie für zwei Personen. Eine Art Traumdialog zwischen Mutter Aase und Sohn Peer oder vielleicht auch nur zwischen zwei übrig gebliebenen Schauspielern, die sich des nachts am Kantinen- oder Wirtshaustisch - ein bisschen übermüdet und vielleicht auch trunken - durch dieses überstrapazierte, ja, oft überinszenierte Stück Weltliteratur fantasieren. Ciulli, der in seinem schier kindlichen Theaterglauben Unerschütterliche, setzt auf Essenz statt auf Opulenz. In eineinhalb Stunden switcht er sich mit Neumann spielerisch-improvisatorisch durch die Hauptszenen dieser faustischen Reise von einem, der auszog, er selbst zu sein und doch immer nur sich selbst genug war.

In dem nachtschwarzen Bühnenraum, ausgestattet nur mit einem Tisch, zwei Stühlen, einem Schrank und einem Gitterbettchen, wirken sie wie Beckett-Figuren auf Sinnsuche. Beide in schwarzem Anzug mit weißem Hemd. Beide abwechselnd die Hallodri-Rolle des Träumers und Lügners Peer Gynt übernehmend. Maria Neumann tut dies mit frecher Pumuckl-Vitalität und spielt mit Wandlungs-Verve auch alle übrigen Rollen, sei es die liebende (hier aber nicht auf den Ausreißer Peer wartende) Solveig, die Proll-Tochter des Trollkönigs oder am Ende den Knopfgießer. Ciulli wiederum, 83 inzwischen, hat die leise Melancholie eines Alten, der Rückschau hält. Reizend sein italienischer Akzent.

Ciulli ist ja nicht wirklich ein Schauspieler, aber wie er da so sitzt, mit seinen weißen Locken und seinem Schelmengesicht, wie er sinnierend mit den Fingerkuppen spielt und seine Spielpartnerin schon mal (in der Sterbeszene der Mutter Aase) huckepack nimmt, hat er etwas von einem gütigen alten Theatergott. So entstehen schöne Momente von Intimität und Wahrhaftigkeit. Allerdings muss man "Peer Gynt" schon ziemlich gut kennen und das Theater der alten Ciulli-Schule lieben, um nicht irgendwann abgehängt zu werden.

Schauspiel: Maria Neumann und Roberto Ciulli in Ibsens "Peer Gynt".

Maria Neumann und Roberto Ciulli in Ibsens "Peer Gynt".

(Foto: Joachim Schmitz)

Die Gautinger sind da ein gutes - auch entsprechend reifes - Publikum. Hans-Georg Krause und sein Theaterforum werden es weiter fordern. Im Januar wird der Verein erstmals Tanztheater ins Bosco holen: Die Companie Johanna Richter zeigt dann ihr Shakespeare-Medley "For you my love".

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