Schauspiel:Ein böser Traum

Thomas Schmauser inszeniert Brechts "Mutter Courage"

Von Egbert Tholl

Man ist in München spätestens seit "Baal" sensibilisiert - oder sollte man besser sagen: traumatisiert? -, was Brecht angeht. Nun fragt hier in der Aufführung von "Mutter Courage und ihre Kinder" Peter Brombacher: "Warum soll denn der Krieg aufhören müssen?" "Wegen G 36?" Brecht wusste natürlich noch nichts vom aktuellen deutschen Sturmgewehr, mit dem man dem Anschein nach hervorragend um die Ecke schießen kann. Mithin, ist das erlaubt? Oder kriegt die Brecht-Erbin, die alte Dame in Berlin, jetzt wieder einen Rappel?

Nun, Scherz beiseite: Thomas Schmauser inszeniert die "Mutter Courage", und er nimmt den Text gnadenlos ernst. Das gebiert zweierlei: Ein großes Erstaunen darüber, dass ein Stück, das unmittelbar vor dem Grauen des Zweiten Weltkriegs geschrieben, in diesem - 1941 in Zürich - uraufgeführt wurde und im Dreißigjährigen Krieg spielt, vom Krieg erzählen kann, als wäre es heute. Und auch die Erkenntnis, dass bei aller Verve, bei allem Einfallsreichtum Schmausers dennoch ein bisschen Brechtsche Besserwisserei und vermeintlich überlegene Altklugheit stehen bleibt, die heute seltsam anmutet. Aber Letzteres sind Nuancen - die Aufführung ist ein toller Abend.

Es gibt die Songs, größtenteils vorproduziert, gesungen von der großen Ursula Werner, aber nicht nur, begleitet vom ekstatischen Zertrümmerer Carl Oesterhelt an der Orgel und von Sachiko Hara am Klavier. Es gibt abstrakte Kostüme, die die Lächerlichkeit eines Priesters im Felde (der wunderbare Peter Brombacher) genauso offenbaren wie die eitle Macht des Militärs. In der Mitte des schmutzigen Spiegelbodens im Werkraum steht ein Motor, er blinkt und flackert, immer dann, wenn es ans Sterben geht. Kriegsmaschinerie.

Überhaupt, das Flackern. Schmausers Inszenierung hat auch ein bisschen etwas von einem bösen Traum. Courages Söhne, gespielt von Christian Löber und Leonard Klenner sind von Anfang keine Geistergrößen, werden dann aber auch noch sehr schnell sehr wahnsinnig - ein Schauspielfest, wie auch alle bizarren Figuren Stefan Merkis, wie die unerträglich kreischende oder als Kattrin, Courages Tochter, stumme Lena Lauzemis. In diesem Sammelsurium der an Leib und Seele Verstörten, Zerstörten, Versehrten sitzt im Zentrum Ursula Werner. Bauernschlau und hart ist ihre Courage, sie wittert das Geschäft, die "Hyäne des Schlachtfelds". Und doch brechen bei ihr für Momente der Schmerz und die Verzweiflung durch. Am Ende ist sie allein, sind alle tot, sind auch die letzten Zauberkunststückchen von Licht und Bühne verschwunden, steht da einfach ein Mensch, und hart hämmern die Akkorde des Klaviers. Und all ihr Pragmatismus, mit dem sie das Wesen des Kriegs durchschaut hat, hilft ihr nichts mehr. Da wird dieser auch grimmig lustige Abend zu einem Fanal. Und eben, man wundert sich über Brecht, darüber, dass manches von ihm doch überdauert.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: