Schauspiel:Der Raum im Raum

Schauspiel: Ein Labyrinth, in dem man sich leicht verirren kann, hat der Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau für Amélie Niermeyers Inszenierung von "Rückkehr in die Wüste" geschaffen.

Ein Labyrinth, in dem man sich leicht verirren kann, hat der Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau für Amélie Niermeyers Inszenierung von "Rückkehr in die Wüste" geschaffen.

(Foto: Thomas Dashuber)

Alexander Müller-Elmau hat ein labyrinthisches Bühnenbild für Koltès' "Rückkehr in die Wüste" am Residenztheater gebaut

Von Christiane Lutz

Die Wüste ist ein Haus mit vielen Zimmern. Zumindest, wenn es nach Alexander Müller-Elmau geht. Der hat die Bühne für die Inszenierung von "Rückkehr in die Wüste" entworfen, die an diesem Samstag im Residenztheater Premiere hat. Seine Wüste ist ein schlichter, quadratischer Bau, gleicht einem dieser Häuser, wie man sie in sehr heißen Ländern findet. Er steht auf der Drehbühne und schwingt nach links, nach rechts. Wände öffnen sich und gewähren den Blick ins Innere. Ein paar Heizkörper, Leere. Dahinter öffnen sich weitere Wände. Dieses Haus ist immer ein bisschen anders, der Blick hinein verändert sich mit jedem Schwenk. Kein Zimmer ist gleich und kein Zimmer wiederholt sich im Laufe der Inszenierung, so hat sich der Bühnenbildner Müller-Elmau das vorgestellt.

"Rückkehr in die Wüste" ist ein Stück des französischen Dramatikers Bernard-Marie Koltès. Es ist das erste Mal überhaupt, dass dieses Stück in München auf der Bühne zu sehen sein wird. Koltès zählt zu den wichtigsten französischen Dramatikern des vergangenen Jahrhunderts und wurde viel in Deutschland gespielt. "Rückkehr in die Wüste" entstand 1988, spielt aber zur Zeit des Algerienkrieges, also irgendwann um 1960. In diesem Krieg erkämpfte Algerien, einst französische Kolonie, seine Unabhängigkeit. Das Stück war für Koltès geprägt von seiner Kindheit in der französischen Provinz.

Alexander Müller-Elmau sitzt in der Sonne im Innenhof des Residenztheaters und blinzelt angestrengt ins Licht. Proben in geschlossenen, dunklen Räumen müssen für Künstler bei schönem Wetter bitter sein. "Für Koltès ist die Wüste, die er beschreibt, nicht Algerien, sondern die Enge der französischen Provinz", sagt er. Wüste nicht als Weite, "sondern als innere Wüste, als Leere". In dieser Provinz haust der Industrielle Adrien (Götz Schulte) mit seinem geistig eher schlichten Sohn Mathieu (Thomas Lettow) in einem Haus, in dem offensichtlich Adriens verstorbene erste Frau herumspukt. Seine Schwester Mathilde (Juliane Köhler) kehrt mit ihren Kindern Edouard (Max Koch) und Fatima (Mathilde Bundschuh) zurück ins Dorf. Fünfzehn Jahre hat sie in Algerien gelebt. Einst hatten sie ihr Bruder und seine Kumpane aus der Heimat vertrieben, weil sie im Zweiten Weltkrieg mit den Nazis sympathisiert haben soll. Mathilde will nicht nur ihr Erbe - das Haus, in dem Adrien lebt - einfordern, sondern Rache.

"Rückkehr in die Wüste" erzählt von wüsten Menschen, von rassistischen Menschen, die sich nicht von ihrem kolonialistischen Denken lösen wollen. Dass sich an den Zuständen bis heute wenig geändert hat, zeigen auch die Erfolge des Front National in vielen ländlichen Regionen des Landes. Trotzdem, das war Koltès wichtig, hat der Text komische Momente, wie ein Stück von Anton Tschechow.

Die Lektüre des Textes steht für Bühnenbildner Müller-Elmau natürlich immer an allererster Stelle seiner Arbeit. "Ich lass mich erst mal ganz emotional reagieren", sagt er, "Stimmungen aufnehmen, Fantasien laufen lassen. Unreflektiert entstehen da vielleicht schon Skizzen und Notizen." Dann folgt der Austausch mit der Regie, in diesem Fall mit Amélie Niermeyer, mit der Müller-Elmau seit einigen Jahren zusammenarbeitet und am Residenztheater zuletzt eine riesige Welle für "Was ihr wollt" und einen digital-analogen Raum für "Die Netzwelt" schuf.

Mit Niermeyer tauscht er sich seit einem knappen Jahr über diese Inszenierung aus. In Theaterzeitrechnung eine sehr lange Zeit, wenn man bedenkt, dass die Proben dann häufig nur sechs Wochen dauern. "Ich versuche, so lange es geht, in der prozesshaften Situation zu bleiben, um mich nicht zu früh zu festzulegen", sagt Müller-Elmau. "Aber irgendwann kommen konkrete Ideen, wie ein Raum aussehen könnte." Die Wüste sollte für ihn also ein Raum sein, der sich permanent verändert. "So, wie die Wüste mit ihren Dünen sich ja auch verändert." Das Haus sollte nicht wirklich greifbar sein. "Da entstand ein Raum, der sich immer in andere Orte verwandeln kann. Immer dasselbe Haus, das aber immer anders erscheint." Selbst der Garten wird in diesem Drinnen sein. Videoeinspielungen und Live-Musik werden die Geschichte und den Wandel der Räume begleiten. Die ständig sich verändernden Räume fordern große Konzentration von den Schauspielern, während der Proben hat sich der eine oder andere schon verlaufen in diesem Labyrinth.

Die Wüste als Enge im Kopf, das passt auch zu den Figuren des Stücks. Adrien beispielsweise ist Zeit seines Lebens nie aus seinem Ort herausgekommen. Sein Sohn Mathieu verspürt zwar einen undefinierbaren Drang nach draußen, nach dem Krieg, nach den Frauen, doch sein Vater würgt ihn ab. "Warum zum Teufel willst du raus? Fehlt es dir an irgendwas? Aziz geht es für dich holen", heißt es an einer Stelle im Stück. Heimat, das ist für ihn der Ort, den man auf keinen Fall für den Rest der Welt aufgeben sollte.

Rückkehr in die Wüste; Premiere am Samstag, 27. Mai, 19.30 Uhr, Residenztheater

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: