Schauplatz Tokio:Wie die Japaner sich selbst verklären

Japaner sind begeisterte Hobbykünstler und neigen wie im Beruf auch in ihrer Freizeit zur Perfektion. Allerdings genauso zum Kitsch, wie ein Fotowettbewerb in der japanischen Hauptstadt zeigt.

Von Christoph Neidhart

Der Vulkan Fuji in der ersten Morgensonne, winzig in der Ferne, gespiegelt in einem tiefblauen See, darüber ein Hauch von Nebel; im Vordergrund zwei blühende Kirschbäume. Mehr Postkarte geht kaum. Die Fotografie von Takashi Abe hat Japans 57. Fujifilm-Preis gewonnen, einen Wettbewerb für junge Profis und ambitionierte Amateure.

Die Harmonie des Bildes von Abe repräsentiere die Schönheit Japans, die man für viele Generationen erhalten wolle, so die Jury. Auch die Bilder, die die zweiten und dritten Preise erhielten, bedienen Japanklischees: Natur, Volksbräuche, Sumo, Sushi, Reisbauern und Kimono-Mädchen. Zu sehen sind die sie derzeit im Fujifilm Square in Tokio. Die meisten Bilder sind viel zu schön, Fragen stellen ihre Fotografen keine. In National Geographic-Ästhetik variieren sie Motive, die man schon kennt. Viele Fotografen, jedenfalls jene, die in Japan Preise gewinnen, versuchen keinen neuen Blick, sondern reproduzieren Bilder, die es längst gibt.

In der japanischen Schule lernt man durch Imitation, Sushi-Köchen wird nichts erklärt, nur gezeigt. Zugleich ist Japan das Paradies der ambitionierten Amateure, nicht nur in der Fotografie, zum Beispiel auch in der klassischen Musik. Gegen geringe Gebühren mieten Hobby-Orchester die Bühnen von Kulturhäusern oder Konzerthallen. Dann trommeln sie Nachbarn und Freunde zusammen. Technisch spielen diese Bildungsbürger nahezu perfekt, sie machen alles richtig, das hat in Japan Priorität. Aber die Musik inspiriert nicht.

Dass ernsthafte Fotografie jenseits jener affirmativen Ästhetik beginnt, die Japan heute bevorzugt - und auszeichnet -, könnten die Preisträger selber sehen, wenn sie ihre Bilder im Fuji Square besuchen. Die Galerie zeigt zur Zeit auch Bilder des Fotografen Tadahiko Hayashi, der im zerstörten Tokio der ersten Nachkriegsjahre fotografierte. Menschen, die den zerbombten Ruinen ein Heim abringen, eine Frau, die auf einer Müllhalde eine Bar betreibt. Japaner, die sich auflehnen, Widersprüche. 1946 porträtierte Hayashi den sperrigen Schriftsteller Dazai Osamu halb liegend auf einem Barhocker, seine schmutzigen Stiefel auf dem Hocker daneben. Und mit dem Rücken zur Kamera sein Schriftstellerkollege Sakaguchi Ango.

Immerhin ein Hauch von Widerspruch steckt auch im Siegerfoto Takashi Abes. Der Berg ist nicht der Fuji, wie die Betrachter meinen, sondern der Yotei, der "kleine Fuji" auf Hokkaido, die Blüten sind keine Kirsch-, sondern Pflaumenblüten. Aber auf diese Ironie ging die Jury in ihrer Begründung nicht ein.

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