Schauplatz Tokio:Nippontastisch

Je japanischer, desto populärer: Neue Werke namhafter Autoren verkaufen sich gerade genauso schlecht wie kritische Sachbücher. Die Japaner lesen am liebsten "Nihonjinron"-Literatur. Die sagt ihnen vor allem, wie toll sie sind.

Von Christoph Neidhart

Verleger neigen zum Jammern. Derzeit haben sie Grund dazu. Auch in Japan verringern sich die Umsätze der Buchbranche rasant, die Zahl der Buchhandlungen hat sich in wenigen Jahren halbiert. Als der Lektor eines Tokioter Verlages, ein alter bekannter, jüngst Neuerscheinungen sichtete, meinte er zu fast jedem Buch, auch von bekannten, preisgekrönten Autoren: "Verkauft sich nicht." Eigentlich verkaufe sich nur Haruki Murakami. Ihr Geld verdienen die Verlage mit Manga. Die Grenze zwischen "verkauft sich" und "verkauft sich nicht" liege bei 10 000 Exemplaren, erzählt der Lektor.

Selbsthilfe- und andere Sachbücher verkaufen sich auch, aber damit beschäftigt sich unser Bekannter nicht. Auch nicht mit jenem recht populären Genre, das nur in Japan existiert: der "Nihonjinron"-Literatur. Dieses Genre produziert regelmäßig Bestseller. "Nihonjinron" wird mit "Japanertum" übersetzt. Diese Bücher sind meist geschwurbelte Essays, die Wissenschaftlichkeit behaupten und den Japanern erklären, wie speziell und einzigartig sie seien.

Sie vertreten Thesen wie, das Gehirn der Japaner unterscheide sich physiologisch von dem anderer Völker, ihre Mägen seien genetisch auf Reis programmiert, oder - das behauptete Tokios früherer Bürgermeister Shintaro Ishihara - die Chinesen hätten Kriminalität in ihrer DNA.

Einer der beliebtesten, längst widerlegten Mythen ist, die Japaner seien eine monoethnische Gemeinschaft. In der gegenwärtigen Regierung sitzen mehrere Anhänger von Nihonjinron, sie platzieren ihre Leute auch in Aufsichtsgremien der Medien. Der Gesellschaftskritiker Debito Arutou, ein gebürtiger Amerikaner und nun japanischer Bürgerrechtler, vergleicht "Nihonjinron" mit einer Sekte.

Kritische Bücher haben es derzeit schwer, die Verlage scheuen Wagnisse. "Genpatsu Whiteout" (Atomkraftwerk Whiteout) von Retsu Wakasugi ist eine Ausnahme. Wakasugi, das Pseudonym eines Beamten, zeigt auf, wie Atomindustrie und Politik kungeln. Sein Buch ist ein Roman, aber online kursiert eine Liste, die entschlüsselt, wer mit welcher Figur gemeint sei. Die Atomindustrie habe Japans Politiker in der Hand, glaubt der Autor. Verkauft sich das Buch? Unser Lektor wiegelt ab: "So halb."

Die Krise der Branche macht auch vor Jimbocho nicht Halt, Tokios Buchhandlungs- und Antiquariatsviertel, wo viele Verlage ihre Büros haben. Zahlreiche Bücherläden mussten verkleinern, entstanden sind Buchcafés. Jetzt müssen die Autoren nicht mehr zu Starbucks, sie können sich mit ihren Verlegern im "Tokyodo Paperback Café" zum Jammern treffen.

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