Schauplatz Seoul:Blut, Sex und Operationen

Splatterfilme, Kannibalismus-Ausstellungen und die gnadenlose Zurichtung durch die plastische Chirurgie: Die koreanische Kultur der Gegenwart trieft vor Gewalt. Liegt es an der Geschichte der asiatischen Halbinsel oder am Kommerz?

Von Christoph Neidhart

Koreas traditionelle Kunst ist subtil, schrille Farben sind selten. Seine Gegenwartskunst dagegen schreit. Im Arario Museum in Space zum Beispiel zeigt Sim Rae ihr "Königreich des Kannibalismus: Produktions-Fabrik". Die 34-jährige Koreanerin skizziert in wilden Tuschezeichnungen den Prozess vom Einfangen der Menschen bis zum Abfüllen ihres Fleisches in Dosen. Das in einem Backsteinbau aus den Siebzigerjahren untergebrachte Museum stellt auch Lee Dong-woks "Seemann" aus: 24 gleiche nackte Männer, die wie Fischfilets in einer Sardinendose liegen.

Und auch das koreanische Kino feiert Orgien der Gewalt, die auf den Sieg des Guten über das Böse verzichten. In diesen "Korean noirs" provoziert Gewalt mehr Gewalt, es gibt keine Auflösung. In Cannes erhielt "The Villainness", die Geschichte einer Profi-Killerin, Ovationen. Der Film, der in Korea eben in die Kinos kam, wird hier mit "Action wie noch nie" beworben. Koreas über alle Maßen brutale Killer dürfen neuerdings auch weiblich sein. Und sexy. Nicht nur Kim Seo-hyung, der Star von "The Villainness", auch ihre Kollegin Lee Si-young in einer Fernsehserie. Sie ist im Nebenjob Berufsboxerin.

Es gibt verschiedene Erklärungen für Koreas Hang zur Gewalt. Die populärste verweist auf Koreas blutige Geschichte: Die Koreaner mussten im Laufe des vergangenen Jahrhunderts endlos Brutalität über sich ergehen lassen: von den Japanern, im Koreakrieg und von den Schergen der Diktatur. Eine andere Theorie postuliert, der rohe Kapitalismus, mit dem Koreas Aufstieg vom bettelarmen Land zur Wirtschaftsmacht durchgepeitscht wurde, habe Gewalt gesät. Zudem tun die Koreaner ihrem Land bis heute Gewalt an, wenn sie es umpflügen, um ganze Städte aus dem Boden zu stampfen. Und handelt es sich bei den Schönheitsoperationen, denen sich Millionen Koreanerinnen unterziehen, nicht auch um eine Form von Gewalt?

Außerdem: Gewalt verkauft sich, und Koreas Kino muss sich verkaufen. Der Staat knausert bei der Kunstförderung, die größte Kunstsammlung des Landes gehört Samsung. Auch die meisten neuen Museen sind privat. Die "Ilmin"-Kunsthalle wurde von der Tageszeitung Dong-A Ilbo zum Gedenken an ihren Verleger Kim Sang-man gestiftet. Das neue, beklemmend labyrinthische Arario-Museum, das als Bau fast spannender ist als einige Exponate, die es zeigt, gehört dem Immobilien-Unternehmer, Kunsthändler, Sammler zeitgenössischer Kunst und Künstler Kim Chang-il.

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