Schauplatz London:Chronisten des Exodus

Die Kunst zieht aus: Weil die Mieten so hoch sind geben Dichter und Maler ihre Ateliers in London auf. Allein der Bürgermeister, verantwortlich für die liberale Immobilienpolitik, beschwört noch die Kunst-Metropole.

Von Alexander Menden

Die London Art Fair, erste große Londoner Kunstmesse des Jahres, setzte kürzlich eine Podiumsdiskussion an zum Thema "Künstlerateliers: Wie man die Kreativität in London hält". Die Videokünstlerin Emma Hart erzählte, wie sie immer mehr an die südöstliche Peripherie der britischen Metropole gedrückt wurde. Erst konnte sie sich das East End nicht mehr leisten, weil die Gentrifizierung dieses ehemals erschwingliche Künstlerviertel in einen unbezahlbaren, seelenlosen Hipsterzirkus verwandelt hat. Jetzt wird es langsam, aber sicher sogar in Peckham zu teuer, einer Gegend, die früher ein Synonym war für die Art von verschnarchtem Vorort, in die man einfach nicht zog, wenn man die Energie des Stadtlebens anzapfen wollte. Emma Hart ist alles andere als eine Unbekannte. Sie hat Preise gewonnen, im Camden Arts Centre und der Whitechapel Gallery ausgestellt. "Aber mein öffentliches Profil", sagt Hart, "spiegelt sich nicht in meinem finanziellen Profil wieder."

Die Fotografin Jenny Lewis ist ungewollt zur Chronistin des Künstler-Exodus geworden. Ihr "Hackney Studio Project" sollte die kreative Vielfalt in Hackney und Dalston dokumentieren. Daraus wurde eine Reihe von Porträts von Künstlern, Designern und Dichtern, die sich London nicht mehr leisten können. Manche ziehen an den Stadtrand, andere verlassen das Land, wie der Kurator Paul Reynolds, der nach Barcelona geht, oder die Performance-Künstler Jen und Mike Gabel, die jetzt in Kanada leben und arbeiten.

Londons Bürgermeister Boris Johnson brüstet sich bei jeder Gelegenheit damit, dass London die "Kreativhauptstadt der Welt" sei. Zugleich tut er mit seiner marktliberalen Wohnungspolitik alles dafür, diesen Status zu untergraben. Ateliers und andere Arbeitsräume für Künstler sind in London absolut unerschwinglich geworden. Vermieter, die befürchten, nicht den optimalen Nutzwert aus ihren Immobilien herauszuholen, verdoppeln die Mieten von heute auf morgen.

Rund 3500 Künstler haben sich in Wartelisten für die schrumpfende Anzahl von Studios eingetragen, die noch nicht in sündteure Luxuswohnungen umgewandelt wurden. Die hohen Decken, die riesigen Räume, womöglich eine Assoziation zu berühmten Vormietern machen Ateliers als Wohnraum begehrt.

Der Maler Antony Bream, der seit vier Jahrzehnten in einem Atelier in Kensington arbeitet, ist der einzige Künstler, der sich in dem viktorianischen Gebäude gehalten hat. "Ursprünglich waren hier zwölf Ateliers", sagte er jüngst der Financial Times. "Die anderen sind völlig umgebaut worden, ich bin umzingelt von Bankiers und Bohrgeräuschen." In Holland Park wurden jüngst vier der letzten dort verbliebenen Künstlerateliers wieder zu einer Villa vereint. Die ist jetzt auf dem Markt, zum Preis von zehn Millionen Euro.

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