Schauplatz Istanbul:Terror und Wunschmaschine

In der Türkei sind mit Papierschleifen geschmückte Wunschbäume immer noch verbreitet. Davon ausgehend hat jetzt ein Designbüro eine Wunschmaschine erfunden: als türkischen Beitrag zur Londoner Design Biennale.

Von Mike Szymanski

Der türkische Gigantismus kennt keine Grenzen. Er erschöpft sich schließlich nicht in neuen, selbstverständlich wieder einmal rekordverdächtigen Bosporus-Brücken. Die dritte, ebenso viel- wie großspurig, ist soeben eröffnet worden. Die zweite Brücke ist immerhin in rekordverdächtig kurzer Zeit umbenannt worden in "Brücke der Märtyrer des 15. Juli". Das war der Tag des Putschversuches, als das Land gehörig ins Schlingern geriet. In der Türkei wird Geschichte gerne auf Verkehrsschildern geschrieben.

Die Türkei ist aber auch ein Sehnsuchtsland. Heute mehr denn je. Der Kummer ist groß. Terror ist Alltag geworden. Es ist längst nicht mehr nur die kurdische PKK, die mordet. Auch die bärtigen Steinzeitprediger des sogenannten Islamischen Staates setzen mit ihrer Verachtung der modernen Welt und ihren Bomben dem Land heftig zu.

Die Gründer des Istanbuler Design-Büros Autoban, Seyhan Özdemir und Sefer Çağlar, haben der Traurigkeit etwas entgegenzusetzen, etwas so gigantisch Naives wie Hoffnungsvolles zugleich: eine Wunschmaschine. Eine drei auf dreieinhalb Meter große Installation aus pfeifenden und schmatzenden Kunststoffröhren, die dank Spiegel ins Unendliche zu führen scheinen. Die Maschine kann gar nicht laut genug sein, sagen ihre Erfinder: "Man soll die Kraft der Hoffnung hören."

Wünschen ist Arbeit. Und die Wunschmaschine ist der Beitrag der Türkei zur Londoner Design Biennale, die am 7. September beginnt. Das Thema: Utopia. Es sagt viel aus über den Zustand dieses Land aus, wenn es ausgerechnet mit einer Wunschmaschine vertreten ist. "Anstatt über in die Zukunft weisende Arbeit zu sprechen, müssen wir uns gerade mit Krieg und Terror auseinandersetzen. Wir sprechen über Destruktives", sagt Seyhan Özdemir.

Zusammen mit Sefer Çağlar, beide Anfang 40, hat sie das international tätige Design-Studio 2003 gegründet. Sie haben ihre Büros neuerdings etwas außerhalb des Ausgeh- und Touristenviertels in einem blauen Hochhaus, in dem noch viel leer steht. Nebenan: ein Friedhof. Istanbul kann auch eine sehr stille Stadt sein. Utopia? "Ein schwieriges Thema", sagen die Designer. Als sie daran zu arbeiten begangen, machten sich gerade Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa auf, auf der Suche nach einem besseren Leben. "Wenn wir nicht hoffen, können wir nicht finden", sagt Seyhan Özdemir.

In der Türkei ist der mit Papierschleifen geschmückte Wunschbaum noch verbreitet

Wenn man so will, dann ist die Wunschmaschine die Industrialisierung eines hübschen, alten Brauches. In der Türkei ist der Wunschbaum noch verbreitet, mit Papierschleifen geschmückte Sträucher und Bäume. Wer aufmerksam durch Istanbul schlendert, entdeckt manchmal noch einen. Auf dem Land gedeiht er besser. Jede Schleife steht für einen Wunsch. Jeder Baum kann Wunschbaum werden, sagt Seyhan Özdemir. Es muss nur eben einer anfangen, eine Wunsch dranzuheften. Dann dauert es nicht lange und andere folgen. "Früher hat man die Wünsche dem Wind überlassen", sagt Sefer Çağlar. Für ihre Maschine greifen sie auf eine etwas in den Hintergrund geratene Technik zurück, die pneumatische Materiallogistik: Rohrpost. Eine Firma aus Schwäbisch Gmünd, Aerocom, liefert ihnen die Technik. Angeordnet sind die Röhren im Sechseck, eine vertraute geometrische Form in der Türkei. In London soll die Maschine nun mit Wünschen, auf Zetteln notiert, gefüttert werden.

Was mit ihnen geschieht? Man könnte sie sammeln, auslesen, ausstellen. Verwerten eben. Die Designer haben lange nachgedacht. Die Wünsche bleiben geheim, sagen sie. So wie früher.

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