Schauplatz:City aus gefärbtem Glas

Die Umgebung des Berliner Hauptbahnhofs ist ein Elend. Würfelförmige Bauten mit öden Schlitzfassaden stehen herum. Was wird Wohnungsuchenden geboten?

Von Stephan Speicher

Die Umgebung des Berliner Hauptbahnhofs ist ein vielbeklagtes Elend. Würfelförmige Bauten mit öden Schlitzfassaden stehen herum; man sieht, abgesehen vom Bahnhof selbst, nicht ein erfreuliches neues Gebäude. Jetzt wird das Gelände nördlich davon in Angriff genommen, die "Europacity" entlang der Heidestraße, zwischen Hauptbahnhof im Süden und der Perlebergerstraße im Norden. Hier lagen die ersten größeren Häfen der Stadt, der Lehrter und der Hamburger Bahnhof, der schon 1884 für den Personenverkehr geschlossen wurde. Auf dessen Gelände entstand der "Aussen- und Productenbahnhof der Berlin-Lehrter-Hamburger Eisenbahn". Nach Kriegsende verödete die Fläche: Feld für die Europacity. Stadtplaner und Architekten hatten freie Hand. Was entsteht da, ohne die Nachbarschaft prägender Bauten?

Lassen wir die ersten Geschäftsbauten für den Moment außer Acht und betrachten, was dem Wohnungsuchenden geboten wird. Ein Bau ist schon fast fertig, der "KunstCampus", ein lang gezogener Riegel, dessen Fassade in sehr stumpfe Winkel gefaltet ist. Diesen Winkeln laufen die in überstumpfe Winkel gefalteten Balkons entgegen, die statt eines Geländers eine Wandung aus gefärbtem Glas haben. Wer die sechziger und frühen siebziger Jahre in Westdeutschland verbracht hat, dem wird das Stichwort Rauchglas-Aschenbecher reichen, um einen treffenden Eindruck zu gewinnen. Wie es der Zufall will, steht vielleicht dreihundert Meter weiter das Umspannwerk in der Sellerstraße, 1928-29 von Hans Heinrich Müller gebaut. Auch dieser Bau benutzt die Dreiecksform für seine Fassade, aber sie hat ihren technischen Sinn und der Bau eine expressive Kraft, er weiß etwas auszudrücken. Der KunstCampus - der Name verdankt sich dem Museum Hamburger Bahnhof - will es nur ein bisschen nett machen.

Der frühere Berliner Senatsbaudirektor Hans Stimmann hat das Elend des Viertels - weitere Eindrücke unter quartier-heidestrasse.com - kürzlich aus der Grundstücksfrage erklärt. Die öffentliche Hand habe das Land in großen Partien verkauft, statt darauf zu bestehen, dass aus der Parzelle heraus gebaut werde. Nun hat die Baupolitik, die Stimmann in den 1990er Jahren entschlossen durchgesetzt hatte, auch nicht gerade Wunder der Baukunst oder nur Bewährungen des Geschmacks hervorgelockt. Aber den Immobilienentwicklern riesige Flächen zu übergeben und auf ihr Formgefühl zu vertrauen, das ist schon sehr frivol.

Auf der Westseite der Heidestraße stehen noch einige alte Häuser, nichts Besonderes. Aber man wird sich mit Respekt und Zähneknirschen an sie erinnern. Und vor allem an das schon halb verlassene "Haus Kunst Mitte", das die Parole ausgibt: "Kunst ohne Fakten. Fakten ohne Kunst." Damit ist über das Bauen in der Europacity schon viel gesagt.

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