Schauplatz Bern:Gepflegte Rüpelhaftigkeit

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Wie die Schweizer Mundart-Rockband "Knöppel" sich so vulgär wie politisch kritisch zum Erfolg flucht.

Von Isabel Pfaff

Die Schweiz ist seit dem vergangenen Sonntag eine andere. Sie ist nun nicht mehr das Land, in dem die rechte SVP ein Rekordergebnis nach dem anderen erzielt, sondern das mit der grünen Welle. Noch nie hat eine Schweizer Partei so viele zusätzliche Parlamentssitze erobert wie die Grünen. Und: Die Frauenquote im Nationalrat ist auf historische 42 Prozent angestiegen.

Doch auch in der neuen Schweiz gibt es ab und zu diese Tage. Tage, an denen sich das Leben tatsächlich so anfühlt, wie es die Vorurteile suggerieren: ordnungsfanatisch, kleingeistig, eng. Wenn man mal wieder vergessen hat, das Altpapier pünktlich und sauber gebündelt an die Straße zu stellen. Wenn im Gespräch jemand einfach so die Begrenzung der Zuwanderung fordert. Oder man von einem Zehnjährigen zurechtgewiesen wird, weil man mit dem Rad auf dem Fußweg fährt. Dann will man innerlich ausholen zur Tirade gegen dieses besondere Völkchen, grüne Welle hin oder her - und stolpert plötzlich über die Band "Knöppel".

Ein Ostschweizer Trio, das zu Garagenrock auf St.-Galler-Tütsch singt - oder vielleicht eher flucht. Nach dem Erstling "Hey Wichsers" von 2016 ist nun das zweite Konzeptalbum der Band erschienen, es heißt tatsächlich "Faszination Glied". Im Schweizer Mundart-Rock werde einfach zu wenig obszön geflucht, fand Sänger und Texter Daniel "Midi" Mittag, und schuf deshalb Songs, in denen es vor allem um Fußball, Schlägereien und Onanie geht. Das neue Album hält sich relativ streng ans Motto und betrachtet das männliche Geschlechtsorgan von allen Seiten - linguistisch ("Glied"), medizinisch ("Senkhode") und sogar psychologisch ("Penisniid").

Ausgerechnet diese Band bezeichnet der Zürcher Tages-Anzeiger nun als das "Schweizer Rock-Phänomen der Stunde". Tatsächlich wächst die Fangemeinde, "Knöppel" spielen Konzerte in der ganzen Republik, viele sind ausverkauft. Und das, obwohl einige Texte wirklich nur schwer erträglich sind. Doch irgendwie gelingt es den drei Musikern, über die wüsten Ausfälle eine Art Ironiefilter zu legen, der das Ganze nicht nur aus der plumpen Schmutzecke holt, sondern auch noch unauffällig die reiche, saubere Schweiz aufs Korn nimmt. "De chaufi halt Prada ihr Wichser", heißt es etwa in dem Song "Prada", der 2018 von SRF3-Hörern zum besten Schweizer Rocksong aller Zeiten gekürt wurde, "I cha au andersch ihr Wichser / Pack min Stylist und fahr uf Ascona / Und schoppä eu Wichser is Koma."

"Knöppel" selber geben sich in Interviews betont harmlos. "Wir sind eigentlich nie schlüpfrig, wir pflegen bloß die Rüpelhaftigkeit", behauptete Daniel Mittag kürzlich im Tages-Anzeiger. Knöppel sei "vorpubertär" und müsse sich deshalb nicht mit #MeToo oder Männlichkeitsdebatten auseinandersetzen. Dabei sind die Musiker aus St. Gallen gar nicht so unpolitisch wie sie tun. Ihr Stück "Scheff" ist eine lustige Satire auf sinnlose Hierarchien, in "Ziel vor Auge" geht es um den Coaching-Sprech im kapitalistischen Büro-Alltag. Was soll man sagen? Eine fluchende, vulgäre und dabei kritische Mundart-Band auf Erfolgskurs. Großartig, diese Schweiz.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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