Schauplatz Berlin:Rückzug hinter Metallgitter

Ein neuer, hochgerüsteter Wohnblock im Bötzowviertel steht in seiner Bunkerhaftigkeit symptomatisch für den gegenwärtigen Berliner Wohnungsbau: Die Wohnung ist meins, und die Stadt soll draußen bleiben.

Von Jens Bisky

Die Brachen füllen sich, es wächst das Neue, "Fickzellen mit Fernheizung" und Austritt für die Zigarette danach hätte Heiner Müller gesagt. Aber der Dichter fehlt schon über zwei Jahrzehnte, und ganz sicher kann sich kein Spaziergänger sein, wie zellenartig die Wohneinheiten in der Pasteurstraße beschaffen sind. Sie verstecken sich.

Ringsum im Bötzowviertel wohnen viele Menschen, die was mit Medien machen oder sonst zum Prenzlauer-Berg-Milieu gehören. Dieser urbanen Elite und den wenigen Alteingesessenen wurde ein elend langer, schockierend grauer Block vor die Nase gesetzt; rund 7000 Quadratmeter Wohnfläche, Tiefgarage, Gemeinschaftsflächen und ein Supermarkt. Um ihn hatten die Anwohner einst gebangt, bis er in das Smarthoming-Projekt integriert werden konnte.

Der Komplex ist vier mal so lang wie ein altes Haus in der Gegend. Die Fassade verschwindet hinter Metallblenden, nur die klotzigen Aufbauten der beiden oberen Geschosse kommen ohne aus. Die Gitter können von den Bewohnern geöffnet und zur Seite geschoben werden. Dann erhascht man Blicke auf die "privaten Außenbereiche" und tief dahinter liegende Fenster. Die Prenzlauer Berg Nachrichten vermelden Unmut im Kiez - aber auch Verständnis. Es ist die Südseite, da braucht es Sonnenschutz, endlich ein Bruch, etwas Raues, nicht so Beschauliches. Der Vorübergehende möchte die Fassade des Büros Zanderrotharchitekten gern streicheln und ihr beruhigend zuflüstern: Du musst keine Angst haben, es ist nur Berlin, die Stadt tut dir nichts.

Diese Fassade spitzt einen Trend so zu, dass er kenntlich wird. Sie inszeniert die Abkehr der neuen Stadthäuser von der Stadt. Diese Geste wäre auch durch Holzpaneele nicht gemildert worden, welche wohl anfangs einmal geplant waren. Die Wohnung wird zum technisch hochgerüsteten Schutzraum. Das Städtische, Lärm, Staub und Menschengewusel, hält man, so weit es eben geht, draußen. Vor allem aber nimmt man sich aus der Stadt raus. Das geschieht mal in abgeschlossenen Höfen und Anlagen, mal mit den Distanzierungsformeln der besser verdienenden Stände. Der Pasteurstraßen-Komplex besticht durch bunkerhafte Deutlichkeit.

Neuere Fassaden, die sich der Stadt zuwenden, sind selten. Und noch seltener wird in Berlin über die Formen der Wohnhäuser gestritten, die überall entstehen. Die debattierfreudige Szene hält sich lieber mit Fragen der Symbolik, des Denkmalschutzes und der Rekonstruktion auf. Das hat Vorteile, man muss lediglich ins Archiv gehen, die Mappe mit der Aufschrift Neunzigerjahre heraussuchen und kann dann alle Argumente wiederverwenden.

Wer die Augen aufhält, kann in Berlin studieren, wie viele Möglichkeiten es gibt, Übergänge zwischen Privatem und Öffentlichem zu gliedern, zu gestalten. In der Pasteurstraße ist die Verbindung gekappt, das Problem gestrichen: Straße ist Infrastruktur, Wohnung ist meins, Metallblende zu. Das passt zur neuen Berliner Lust am Kleinen, Umfriedeten, Kiezhaften, zur Abkehr von der Stadt als gemeinsamer Bühne. Schlackenlos erscheint der Geist der Zeit in dieser Fassade, deswegen ist sie ein Kandidat für künftige Denkmallisten.

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