Schauplatz Berlin:Nun auch noch Wedding

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Die "New York Times" stellt dem Wedding ein tolles Zeugnis aus. Die Gründerin des Prime Time Theaters aber ist in den Prenzlauer Berg gezogen.

Von Jens Bisky

Zwei Nachrichten verblüffen den sonnenverwöhnten Berliner: Constanze Behrends ist in den Prenzlauer Berg gezogen, und die New York Times stellt dem Stadtteil Wedding ein glänzendes Zeugnis aus. Seit dem Mauerfall wird Wedding als Kiez der Zukunft gehandelt, nun aber, so die New York Times, sehe es so aus, als werde das Versprechen wirklich eingelöst. Wollen wir das glauben? Der von scheußlichster Nachkriegsarchitektur entstellte Arbeiterbezirk, über den die Flieger von und nach Tegel dröhnen, wird jetzt, vor unseren Augen, das nächste große Ding? Bisher konnte man über Wedding gut plaudern, weil die Mittelschicht den Kiez dann doch zu räudig fand. Jetzt füllt sie auch dort ihre Wildheitsreserven auf.

Überraschender, beinahe schockierend, ist die Nachricht vom Umzug der Constanze Behrends, war sie es doch, die den Wedding leuchten ließ, seit sie im Dezember 2003 mit Oliver Tautorat das Prime Time Theater gründete und die Sitcom "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" (GWSW) erfand. In jedem Monat schreibt sie eine neue Folge, jede neunzig Minuten. Es treten auf: die Kreuzberger Zwillingstürken Orkan und Taifun, der lispelnde Postbote Kalle, die Weddinger Punkerin Ratte, der schwäbische Sexualkundelehrer Üwele und einige mehr. Das war Volkstheater vom Feinsten, und es lebte vom Erfolg an der Abendkasse. Wie großartig das Unternehmen ist, hat im vergangenen Jahr selbst der Senat begriffen. Seitdem gibt es institutionelle Förderung. An diesem Freitag hat die 100. Folge Premiere: "Weddingstory - das Musical".

GWSW funktioniert als Verweigerungsweihfestspiel auch deshalb so gut, weil das Feindbild klar ist; es geht gegen die "Prenzlwichser", Künstler aus Prenzlauer Berg, die keine Ahnung von nichts haben, aber viel Leidenschaft für Biolebensmittel und Kaffeesorten, deren Namen kein normaler Berliner richtig schreiben können will. Aus "Ihr da oben - wir hier unten" wird hier "Ihr aus Prenzlberg - wir in Wedding". Macht ihr mal eure schöne neue Hauptstadt, lautet die Botschaft; wir entziehen uns den Modernisierungszumutungen; wir haben Charaktere, ihr müsst Latte macchiato trinken.

Ausgerechnet zu den "Prenzlwichsern" ist Constanze Behrends nun gezogen. Sie versuche stets, gegen den Strom zu schwimmen, sagte sie im Gespräch mit Radio Berlin88,8; sie kenne so viele, "die von Prenzlauer Berg in den Wedding ziehen und sich dort Eigentumswohnungen kaufen". Grund genug, die Richtung umzukehren. Der Berliner nimmt es als seltsames Zeichen der Zeit, bald könnte selbst Prenzlauer Berg wieder Mode werden.

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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