Schauplatz Berlin:Licht und Wildnis zwischen Gräbern

Der Dorotheenstädtische Friedhof ist der berühmteste der Stadt. Nun soll er eine Installation des Lichtkünstlers James Turrell bekommen. Und das ist nicht der einzige Reiz der Gräberfelder.

Von Stephan Speicher

Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte bereitet sich der nächste Höhepunkt vor. Die Friedhofskapelle, 1928 errichtet, im Krieg stark zerstört, später stark überformend wieder hergerichtet, wird eine Installation des Lichtkünstlers James Turrell erhalten, im Juli soll sie gezeigt werden.

Der Dorotheenstädtische Friedhof ist der berühmteste Berlins. Hier liegen Hegel und Fichte und Brecht, Anna Seghers und Heiner Müller und viele andere Große. Und hier kann man sehen, was die Grabkunst des 19. Jahrhunderts ausgemacht hat: der Wille, dem verstorbenen Individuum zu entsprechen. Auf einer Stele die Büste des Maschinenbauunternehmers August Borsig, ein wuchtiger Kopf, ganz wie man sich den Kommerzienrat vorstellt. Interessanter noch das Medaillon mit dem Portrait seiner Frau, gehalten von einem Engel und einem Sterblichen, in den Spuren des Alters ganz unidealistisch. Das Mausoleum für den Architekten Friedrich Hitzig bildet zugleich den Hintergrund des Grabes Schinkels, der Hitzigs Lehrer war. Die Engel neben dem auferstandenen Christus zeigen die Physiognomien der Schinkel-Zeit. Solche Individualisierung fällt im 20. Jahrhundert schwerer. Wo es versucht wird, sieht man mit doppeltem Interesse hin: Der Grabstein für den Internisten Theodor Brugsch ist mit einem Bronzefries geschmückt: der Arzt am Krankenbett. Für Karl Mickel, "Poet", wie es stolz, knapp und richtig auf dem Stein heißt, ist eine Portraitbüste gesetzt worden, die seinen schmalen, kantigen Schädel in Erinnerung ruft und zugleich den entschlossenen Willen zu einer hochgespannten Kunst.

Der Dorotheenstädtische Friedhof ist gut gepflegt, das ist etwas Besonderes in Berlin. Das Familiengrab ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Rund 70 Prozent der Toten werden heute eingeäschert, viele in Urnengemeinschaftsgräbern oder "Friedwäldern" beigesetzt. Eine exklusiv Berliner Entwicklung ist das nicht, aber hier wohl doch weiter vorangeschritten als anderswo.

Auf den großen Friedhöfen Neuköllns kann man das beobachten. Auf weiten Flächen sind die Grabsteine abgebaut, es sind Wiesen. Ein Friedhof wird demnächst zur Grünanlage. Auf dem Friedhof der katholischen St. Michaels-Gemeinde liegen am Eingang die Priester der Gemeinde, aber gleich dahinter muslimische Gräber, zum Teil groß und aufwendig. Nicht jeder muss sie ästhetisch gelungen finden. Aber muslimische Gräber auf einem katholischen Friedhof nahe dem großen Kruzifix auf der Hauptachse, vor dem wiederum viele frische Blumen und Lichter stehen, das ist auch eine Kulturleistung. Ein Friedhof hat immer etwas Begütigendes, dieser ganz besonders.

Und dann sind da die verwilderten Friedhöfe, mitten in der Stadt, zehn Minuten vom Alexanderplatz. Auf dem Georgen-Parochial-Friedhof finden sich große Anlagen wie die der Familie Pintsch, mit Kränzen und Girlanden in tadellosem Zustand, und wenige Schritte weiter ein verfallenes Gräberfeld. Die Steine sind umgestürzt, die Bäume wachsen wild und hoch. Wie auf einem Bild Caspar David Friedrichs.

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