Schauplatz Berlin:Immer mit Blick auf Bonn

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Dass irgendjemand nicht in der deutschen Hauptstadt wohnen will, können sich gerade Berliner nicht vorstellen. Doch immer noch arbeiten einige Ministerien in Bonn. Die Bauministerin will das nun ändern.

Von Jens Bisky

"So wie es ist, kann und wird es nicht bleiben", hat die Bundesbauministerin Barbara Hendricks gesagt. Sie will einen "gesteuerten Prozess" beginnen, an dessen Ende alle Ministerien in Berlin sitzen, alle Ministerialbediensteten in der Hauptstadt arbeiten. Das Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 sah anderes, nämlich eine "faire Arbeitsteilung" vor, mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter der Bundesministerien sollte weiter in der kleinen, feinen Stadt am Rhein arbeiten. Die Sogwirkung der neuen Hauptstadt im Nordosten des Landes hatte man damals unterschätzt. Berlin ist so selbstverständlich Hauptstadt, Machtzentrum und Fernsehkulisse, dass die sechs Ministerien in Bonn und die Dienstsitze aller Ministerien am Rhein unnütz teuer und im Alltag schlicht unpraktisch scheinen mögen.

Berliner Zeitungen haben das Wort der Ministerin begrüßt, in Nordrhein-Westfalen fand es weniger Zustimmung. Die Argumente sind weitgehend bekannt, sie begleiten uns seit den frühen Neunzigern: "Umzug ist Unfug." - "Selbstverständlich gehört die Regierung komplett nach Berlin." Diese Formeln gehören zum immer wieder mal aufflackernden - und dann rasch erlöschenden - Streit, wie die beschwichtigenden Worte in Richtung Bonn. Was das Hauptstadt-Dasein für Berlin bedeutet, ob es mehr davon braucht, darüber wird sehr viel seltener geredet. Dem gelernten Berliner ist es ohnehin unverständlich, dass nicht alle zu ihm ziehen wollen. Er hat gehört, dass es solche Menschen gibt, aber sie bleiben ihm ein Rätsel, dessen Auflösung er lieber nicht erfahren will.

Vielleicht wird deshalb so selten gefragt, wo all die Bediensteten ihre Schreibtische aufstellen, wo sie wohnen, ihre Fahrräder und Autos parken sollen, wie die städtische Infrastruktur aufzurüsten wäre. Zu gern würde man Berliner Forderungen hören, noch lieber Pläne und Ideen kennenlernen. Wer heute vom Reichstag zum Bundeskanzleramt eilt oder um das Paul-Löbe-Haus herumstreift, gewinnt leicht den Eindruck, die Stadt scheue zurück, als wolle sie den Zentren der Macht nicht zu nahe kommen und überlasse das Gelände gern den Touristen.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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