Schauplatz Berlin:Gemischter Ärger in Kreuzberg

Sie ist die Magistrale der berühmten Kreuzberger Mischung, aber derzeit gibt es Ärger an der Oranienstraße, und die Welt, die von ihm erschüttert wird, ist die Welt des Kleingewerbes.

Von Lothar Müller

Vom alten Presseviertel an der Kochstraße in Berlin ist nur wenig geblieben. Die taz wird demnächst ein Stück weiter in die südliche Friedrichstadt ziehen. Bleiben wird das Springer-Hochhaus, bleiben wird die Kreuzung, um die es vor knapp einem Jahrzehnt so viel Wirbel gab, als die Kampagne zur Umbenennung dieses Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße erfolgreich war. Die noch heiße Zeitgeschichte hatte das Aufeinanderstoßen von Axel-Springer-Straße und Rudi-DutschkeStraße mit so viel 1968-Symbolik aufgeladen, dass die Kochstraße, die ihren Namen seit dem frühen 18. Jahrhundert trug, seufzend nachgeben musste.

Ihr Geist aber, der Geist des älteren Berlin, begleitet immer noch jeden, der sich, das Springer-Hochhaus im Rücken, Richtung Südosten aufmacht. Die Kochstraße hat ihre Fortsetzung, die Oranienstraße, immer im Auge gehabt, hat die Nachkommen der eingewanderten Hugenotten beobachtet, die sich hier niederließen, sie erlebte, wie im 19. Jahrhundert die Bebauungspläne für die Luisenstadt Wirklichkeit wurden, und als im ummauerten Westberlin der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts plötzlich alle von der "Kreuzberger Mischung" sprachen, vom Ineinander aus Wohnen und Arbeiten, Handwerk, Gastronomie und Einzelhandel, da wusste sie, dass eine der Wurzeln für den aktuellen Ruhm der Oranienstraße als Magistrale dieser neuen Kreuzberger "SO 36"-Mischung in die Berliner Einwanderergeschichte seit dem 17. Jahrhundert zurückreichte.

Derzeit gibt es Ärger an der Oranienstraße, und die Welt, die von ihm erschüttert wird, ist die Welt des Kleingewerbes. Sie hat immer ein wenig im Schatten der politisch-symbolischen Chiffren gestanden, "1968", "Autonome Republik Kreuzberg", "Schwarzer Block" und "Rote Harfe". Die Welt der linksradikalen Kreuzberger Autonomen war nie der Idee der "Mischung" verpflichtet, sie kannte gut strukturkonservativ nur sich selbst und ihre Feinde. Öffnungen waren ihr immer schon suspekt, darum organisierte sie nach dem Mauerfall Demonstrationen gegen die Öffnung der Oberbaumbrücke, die Kreuzberg und Friedrichshain verbindet. Kürzlich, Anfang März, hat eine versprengte Truppe dieser Mischungsfeinde die unrühmliche Westberliner Autonomen-Tradition der Attacken auf etwas bessere Restaurants wiederbelebt und mit Spitzhämmern und Eispickeln die Scheiben des "Vertikal" in der nahen Reichenbergerstraße zerschlagen. Die zurückgelassenen Flugblätter verkauften das als Attacke auf "Gentrifizierung".

Den Rahmenmachern, Elektroladenbesitzern, Inhabern von Yoga-Schulen und Zen-Zentren in der Oranienstraße tut dieses Begriffskapern keinen Gefallen. An den Scheiben der Buchhandlung "Kisch & Co.", informieren Aushänge über das Auslaufen des Mietvertrages Ende Mai, ein neuer Vertrag zu erschwinglichen Konditionen ist bisher nicht in Sicht, der Eigner, die "Berggruen Holdings" hält sich bedeckt. Anwohner, Leser, Autoren fordern in Demonstrationen und Eingaben den Fortbestand der Buchhandlung. Es heißt, ein Unternehmen der Brillenbranche sei an den Räumen interessiert, in denen bisher nicht nur Bücher, Zeitschriften, Reiseführer verkauft wurden, sondern auch Autorenlesungen, Diskussionsabende stattfanden. Eine moderne Kreuzberger Mischung, das wäre das Restaurant "Vertikal" plus "Kisch & Co."

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