Schauplatz Berlin:Eine Stadt mit zu viel Watt

Mehr als vierzig Projektoren illuminieren die Nordseite des Leipziger Platzes, die Teil eines Lichterfestes ist. Hier wird nicht gekleckert. So läuft die gewiss überraschungsfreie Collage von Berlin-Zitaten, Krieg, Wiederaufbau und Mauerfall inklusive.

Von Jens Bisky

Wenn es dunkel wird, beleben sich die Fassaden. Sie scheinen zu wackeln, werden aufgerollt wie Planen, leuchtende Linien betonen Kanten und Rahmen. Es flimmert, flackert. Zahnräder drehen sich, sehr große Zahnräder. Lauf der Zeit. Das leere, plastisch geformte Gesicht ganz oben bekommt eine Physiognomie. Eine Lichtfigur mit Pickelhaube nähert sich von rechts, ist ungeschickt, stößt unten ans Gesicht, die Pickelhaube fällt.

Ach so, Geschichte, denkt der Berliner, das hatten wir schon. Das bisschen Inhalt lenkt nicht ab von der Massierung der technischen Mittel. Mehr als vierzig Projektoren illuminieren die Nordseite des Leipziger Platzes. Hier wird nicht gekleckert. Auf 5000 Quadratmetern zeigt die Künstlergruppe Re:sorb eine Mapping Show, dazu erklingt Musik, die man rasend schnell wieder vergisst. Das "wohl größte 4-D-Outdoor-Surround-Kino der Welt" soll das sein. Es gibt Kopfhörer, falls man von der anderen Straßenseite aus glotzen will. Für die Familie bietet sich heiteres Zitate-Raten an. Wer hat's gesagt? Den Satz mit "Wesen" und "genesen"? Wer rief die "Völker der Welt"? Wer war ein Berliner? Wer versucht da, "Glasnost" zu rappen? Und ist die tanzende Föhnfrisur nicht der Rettungsschwimmer, looking for freedom?

So läuft die überraschungsfreie Collage von Berlin-Zitaten, Krieg, Wiederaufbau und Mauerfall inklusive. In Berlin ist das Weltgrößte meist nur Hinweis auf noch Größeres. Die videoanimationsgeplagte Nordseite des Leipziger Platzes gehört zu den siebzig Schauplätzen des Lichterfestes "Berlin leuchtet". Mag der Titel auch wie eine Verbeugung vor München klingen, das Fest ist in jedem Herbst ein großer Spaß. An diesem Freitag geht es richtig los, quer durch die Stadt: Tor, Turm, Schauspiel- oder Warenhaus, was so herumsteht in der Stadt, wird bunt angestrahlt.

"Berlin im Licht" hieß im Oktober 1928 eine Werbewoche mit Lichtbauten, Ausstellungen, kolossalen Anlagen. Kurt Weill schrieb ein Foxtrottliedchen dazu: "Det is keen lauschiges Plätzchen / Det ist ne ziemliche Stadt / Damit man da alles gut sehen kann / Da braucht man schon einige Watt. / Na wat denn, Na wat denn? / Was is dat für ne Stadt denn?" Damals saß die modernste Elektroindustrie in Berlin und zahlte für eine Inszenierung des großstädtischen Sinnenzaubers. Strahlend, überwältigend auch, weil neben all dem Leuchtgeflitter reizende dunkle Ecken warteten. Das war "Berlin im Licht". "Berlin leuchtet" benutzt die Stadt als Leinwand, als Projektionsfläche. Urbanität wird zur abendlichen Fata Morgana in Endlosschleife.

Das ist nicht zu ändern, Großstadt beeindruckt heute nicht mehr so wie vor neunzig Jahren. Berlin ist seitdem ja auch lauschiger geworden. Aber dass die illuminierte Stadtgeschichte in David Hasselhoff kulminiert, stimmt denn doch traurig. Ein wenig Baukunst kommt immerhin vor, die Fassade des Kaufhauses Wertheim etwa, das einmal dort stand, wo jetzt die "Mall of Berlin" auf Käufer wartet. Die Lichtkunst mit Promi-Zitaten soll sie anlocken. Auch der Gröfaz nebst Propagandaminister, Stalin und Churchill erscheinen albernerweise. An Mitteln fehlt es nicht, aber es wiederholen sich nur tausendmal gesehene Effekte. Vielleicht leuchtet Berlin an anderen Orten weniger trüb.

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