Schauplatz Berlin:Die Stadt ist noch nicht ganz dicht

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Berlin wird immer voller, jedes Jahr kommen vierzig- bis sechzigtausend Menschen neu dazu. Wo bringt man die alle unter? Eine Ausstellung zeigt intelligente Möglichkeiten der Verdichtung. Wenn's doch nur nicht alles so akademisch wäre.

Von Jens Bisky

Dass es voller geworden ist, merken alle, die eine Wohnung suchen, U-Bahn fahren, im Stau stehen, etwas von den Ämtern wollen. Zum urbanen Leben gehört längst auch in Berlin der tägliche Kleinkampf um Raum und Zeit. Und der Eindruck, auch dieser Senat werde daran wenig ändern. Jedes Jahr wächst die Zahl der Berliner um mal vierzig-, mal sechzigtausend Menschen. Da ist man dankbar für jeden, der sich dieser Wirklichkeit stellt, statt weiter dem Traum nachzuhängen, es ließe sich zur Freiflächen- und Zwischennutzungsgemütlichkeit der Neunziger zurückkehren.

Die Architekturgalerie in der Karl-Marx-Allee zeigt in diesen Tagen Entwürfe von Architekturstudenten aus drei Hochschulen - Austin, Potsdam, Navarra - für die Stadt des Jahres 2050. Es sind vor allem Bilder der gewollten Verdichtung, durchexerziert für Charlottenburg-Nord, die Karl-Marx-Allee, Niederschöneweide, den Westhafen und Westkreuz. Zu sehen sind Hochhäuser, Blöcke, neue Mini-Kieze, in denen man eng aufeinander hockt und doch gut aneinander vorbeikommt. In einer Stadt, die Hans Kollhoffs Hochhauspläne zu Tode debattiert hat, die das Tempelhofer Feld nicht einmal am Rand bebauen will, gleichen solche Bilder einer Provokation. Die ist nötig, damit die überfällige Stadtentwicklungsdebatte endlich beginnen kann.

Die Studenten wollen nicht ins Umland, an die Ränder ausweichen. Sie sind der Ansicht, dass man Lücken entschlossen schließen, innerstädtische Gewerbegebiete und Restflächen der Verkehrsinfrastruktur umnutzen sollte. Sie nehmen an, dass 2050 auf Parkplätze verzichtet werden kann, da nur Sammler dann noch PKW mit Verbrennungsmotoren besitzen. Da werde Raum frei für Radwege, Neubauten, Grün.

Dieser Traum kann freilich die Aufmerksamkeit für die Infrastruktur nicht ersetzen. Eine große Stadt besteht ja höchstens zur Hälfte aus Häusern, Läden, Plätzen, öffentlichem Raum. Genauso wichtig ist das unterirdische Netz der Rohre, Leitungen, Schächte, sind die Schienen, Straßen, Wege, Müllplätze, all das, was es zur Organisation des täglichen Hin und Her braucht.

Die Ausstellung "Berlin 2050. Konkrete Dichte" provoziert die Diskussion und erschwert sie zugleich durch die Art der Präsentation. Bilder, Statistiken, Informationen, die man auf Tablets mühsam zusammensuchen muss, erzeugen Seminaratmosphäre, als wolle man vor allem Experten und Liebhaber mit viel Zeit und Geduld erreichen. Als die Meister des Neuen Bauens die Mietskasernenstadt attackierten, um ihre Siedlungspläne durchzusetzen, als später die Siedlungen kritisiert wurden, geschah dies mit prägnanten Geschichten, klaren Gegensätzen, auch mit falschen Behauptungen. Etwas mehr von diesem Willen, sich durchzusetzen, zu überzeugen, täte der Berliner Debatte gut. Nun, man sieht wenigstens, dass man verdichten und damit überwältigende Effekte erreichen kann. Zwei weitere Ausstellungen sollen folgen.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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