Schauplatz Berlin:Die fetten Jahre sind vorbei

Eine Roma-Familie findet Unterkunft im Park.

Die Kunst der Großstädter, nebeneinanderher zu leben, wird in diesem Sommer in Berlin bis zum Zerreißen gefordert. Wie immer ist die Stadt voll von jugendlichen Touristen, die es sich an den bekannten Partymeilen gut gehen lassen. Auch die Berliner selbst nutzten die heißen Wochen für ihr gewohntes halb nacktes Dasein auf Parkwiesen und Straßenrändern. Vereint sitzen Einheimische und Fremde an lauen Abenden auf der Admiralbrücke in Kreuzberg oder auf einer Brücke über die Bahngleise zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz und betrachten, mit einer Bierflasche in der Hand, den Sonnenuntergang, der sich einmal im Wasser eines Kanals, das andere Mal im Gleisgewirr eines Rangierbahnhofs spiegelt. Bilder, wie gemalt.

Wie gemalt ist auch die Szenerie auf den weiten Wiesen des Treptower Park, die so schön von Baumgruppen umstanden sind, dass man sich auf einen englischen Landsitz versetzt fühlen kann. Die späte Sonne lässt die Fahrräder, neben denen die Menschen ausgestreckt liegen, wie schwarze Rieseninsekten im hohen Gras aussehen. Wenn die lässigen jungen Leute aufstehen, um sie fortzuschieben, verraten nur teure Sonnenbrillen, dass sich hier wohlhabende Menschen ausruhen, während die sonstigen Kleider den Berliner Stil des Abgerissenen pflegen.

Bemerkt irgendjemand, dass sich etwas Ungewohntes ins rötlich verschwimmende Bild gemischt hat? Am Rand, vor einer großen Baumgruppe lagert eine Gruppe, die ganz anders angezogen ist. Vor allem ist sie überhaupt angezogen. Die Frauen tragen lange gestreifte Röcke, die Männer Anzüge, Sonnenbrillen sind nur wenige zu sehen. Sie sitzen im Kreis auf großen, bunt karierten Decken und essen etwas. Irgendwo steht ein Rollkoffer in grellem Pink. Fehlte er, dann hätte man ein Bild aus einer anderen Epoche vor sich, die Vorlage eines impressionistischen Gemäldes aus der Zeit um 1880: flirrendes Abendlicht, Damen und Herren in vornehm entspannter Haltung beim Picknick.

Diese wie aus der Zeit gefallene Gruppe wird von einer Roma-Familie gebildet, die seit einigen Wochen vorübergehende Unterkunft im Park gefunden hat. Obwohl sie eigentlich nicht zu übersehen sind, kümmert sich niemand um sie - die modernen lässigen Menschen im Park ignorieren die ungewohnte Erscheinung. Wenn die Sonne endgültig hinter Bäumen und Häusern verschwunden ist, ziehen die Roma sich unter die bis zum Boden hängenden Äste einer riesigen Linde zurück. Dort haben sie einen ebenen, mit zertretenem trockenen Laub bequem gemachten, gut versteckten Schlafplatz, auf dem sie ihre Decken, Schlafsäcke und ein kleines Zelt für die Kinder platzieren können. Am nächsten Morgen sind die weg, um erst im Abendlicht zum Picknick zurückzukehren.

Gewiss werden sie nicht bleiben. Sie hinterlassen weniger Abfälle als die nackten modernen Menschen, die an einem nahegelegenen Teich baden und ihre Wein- und Wodkaflaschen, Aluminiumgrille und Sandwichtüten neben vielem anderen Unrat im Gebüsch deponieren. Man ahnt, was für geübte Wanderer diese Roma sind. Keine Flüchtlingsstatistik erfasst sie, denn sie kommen aus dem EU-Land Rumänien.

Hier und da schieben sie sich ins Bild, bitten um Geld oder Lebensmittel, werden verscheucht und tauchen anderswo auf. An der scharfen Kreuzberger Grenze zwischen der Restaurantmeile am Görlitzer Park, wo der Schauspieler Daniel Brühl ("Die fetten Jahre sind vorbei") seine schicke Tapas-Bar unterhält, und den schwarzafrikanischen Drogenhändlern auf der gegenüberliegenden Straßenseite führen sie ein wenig beachtetes Leben genau in der Mitte, in Wohnwägen oder mit Decken verhängten Autos. Mit den Drogenhändlern wird geredet, gelegentlich kontrolliert die Polizei sie, den Roma gibt man im besten Fall achtlos etwas Geld, ein Stück Pizza und ein paar Flaschen Wasser. Die meisten tun so, als seien sie gar nicht da.

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