Schauplatz Berlin:Das Haus der Bären

Im Schatten des Märkischen Museums scheint die Zeit still zu stehen. Aber wie lange noch? Das Bezirksamt Mitte plant einen "kulturellen Lehr- und Lernort".

Von Jens Bisky

Allmählich wuchert das Gehege zu, der geklinkerte Mitteltrakt ebenso wie die Außenanlagen und Gräben. Wenn man das Grün weiterwachsen ließe, stünde der verlassene Bärenzwinger bald wie eine naturwüchsige Groß-Skulptur am Köllnischen Park. Das würde passen zum verwunschenen Eindruck der Gegend, der bislang selbst durch Neubauten nicht geschmälert werden konnte. Im Schatten des Märkischen Museums, das Ludwig Hoffmann 1908 errichtete, um die Metropolenbewohner heimatgeschichtlich über das elend rasche Wachstum, die ständigen Veränderungen zu trösten, scheint die Zeit stillzustehen.

In diesem Schatten hat die Bärin Schnute ihr Leben verbracht, als letzte in einer Reihe von lebenden Berliner Wappentieren, die seit 1939 hier zum Vergnügen der Städter ihr Dasein fristen mussten. Das erste Paar, Urs und Vreni, war den Berlinern von der Stadt Bern zum 700-jährigen Jubiläum geschenkt worden. Nach 1990 hatte die Tierliebe der Berliner eine Modernisierung des Geheges erzwungen, dann setzten sich mit der Macht der besseren Gründe die Kritiker der keineswegs artgerechten Haltung durch. Schnute, die nichts anders kannte, sollte die letzte lebende Bärin am Köllnischen Park sein. Vor zwei Jahren, am 11. Oktober, hat man sie eingeschläfert. Sie litt an Arthrose.

Seit Kurzem ist der Leerstand beendet. Das Bezirksamt Mitte will dort einen "kulturellen Lehr- und Lernort", eine "Wissensplattform für Stadtkultur" entwickeln. Den Anfang macht ein kuratiertes Kunstprogramm. Es ist für zwei Jahre geplant, und selbstredend soll "das Potenzial des Ortes" ausgelotet werden. Die Band Easter hat im Zwinger ein Musikvideo gedreht, "Ursus Olfaciens" heißt eine Ausstellung von Sarah Ancelle Schönfeld und Reto Pulfer. Es geht um Gerüche, Spuren des Animalischen - oder von Saunaaufgüssen.

Für ein Café, heißt es, sei die Anlage nicht geeignet. Nahe läge die Idee, das benachbarte Stadtmuseum hier die Geschichte des Berliner Bären zeigen zu lassen, von den Wappen bis hin zum herrlichen Berlinale-Bär von Renée Sintenis und den grässlich bunten, unförmigen Buddy-Bären, die einen überall in der Stadt erschrecken. Aber das Vorhaben dürfte die Stiftung Stadtmuseum derzeit überfordern, sie hat schon genug Baustellen. Bleibt also, dem ungleichen Wettkampf zwischen Spuren suchender Kunst und der Erinnerung an Schnute, das wilde, eingesperrte Tier, weiter zuzuschauen. Inzwischen streifen Eichhörnchen durchs Gehege.

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