Schauplatz Berlin:Blutleere Hauptschlagader

Am Berliner Hauptbahnhof soll ein neues Areal entstehen, die "Europa City". Früher als das Quartier selbst ist jetzt schon mal die Straße fertig, die es erschließt - mit sieben Meter breiten Gehsteigen ohne Passanten.

Von Lothar Müller

Berlin ist geplagt mit Baustellen, nicht zuletzt solchen, die partout nicht fertig werden sollen, aber jetzt ist etwas Bemerkenswertes geschehen. Die Heidestraße nördlich des Hauptbahnhofs ist fünf Monate früher als geplant wieder für den Verkehr freigegeben worden. Sie wurde vierspurig ausgebaut, mit Parkhäfen und über 100 gepflanzten Bäumen. Die Berliner Mauer hat dieses Areal lange geprägt, der Containerbahnhof war nach der Schließung eine Brache, der Berlin-Spandauer Schifffahrtkanal, durch den einmal die Grenze zwischen Ost und West verlief, floss vor sich hin, Lagerhallen standen in der Gegend, als warteten sie auf etwas. Wer aus dem Hauptbahnhof auf den Europaplatz trat und zu Fuß nach Norden ging, der landete in einem Niemandsland mitten in Berlin.

Nach dem 2009 verabschiedeten Masterplan soll hier ein ganz neues Areal entstehen, die "Europa City". Durch die soll die Heidestraße als "Hauptschlagader" Richtung Wedding führen. Aber noch fehlt der Ader, durch den der lange staugeplagte Autoverkehr wieder fließt, der Körper, dem sie Leben verleihen soll. Eine Zwischenzeit ist mit der verfrühten Fertigstellung angebrochen. Der Fußgänger kann sich darin als kleiner König fühlen. Sieben Meter breite Gehsteige hat nun die Heidestraße, Passanten gibt es noch nicht viele, noch sind die über 3000 Wohnungen, die hier entstehen sollen, nicht gebaut. Aber schon wächst die Firmenzentrale eines Funknetzbetreibers, das Hochhaus des Total-Konzerns steht bereist seit einigen Jahren. Flaneure und Spaziergänger zieht es meist Unter die Linden, nach Prenzlauer Berg, in die Friedrichstraße oder den Tauentzien und Kurfürstendamm. Aber das Noch-Provisorium Heidestraße ist eine Alternative. Hier kann man den Zügen nachblicken, die in den Bahnhof ein- oder ausfahren, es ist nicht weit zum Invalidenfriedhof, und wer er über die Berliner Wohnungsbaupolitik ins Grübeln kommen will, kann sich nach den Preisen erkundigen. Gefragt, ob unter den vielen Neubauten auch erschwingliche Mietwohnungen sein werden, gab der zuständige Senator zu Protokoll, die werde es durchaus geben, aber leider in geringerer Zahl, als er selbst sich das wünsche. Aber die Gehsteige sind großzügig bemessen.

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