Schauplatz Bagdad:Rebellische Drinks

Jedes Glas Whiskey hat hier den schönen Nebeneffekt, dass es verboten ist, auch und am meisten von den Zottelköpfen des IS. Deshalb wird - mehr noch als bei den Champagnertrinkern in Paris nach den Anschlägen - jeder Schluck zum Widerstand.

Von Sonja Zekri

Vieles ist rätselhaft und unergründlich in dieser Stadt. Stimmt es, dass eine irakische Spezialeinheit im Internet abstimmen lässt, ob sie Gefangene töten soll? Oder: Kann die neue Mauer um Bagdad einen Angriff des "Islamischen Staates" verhindern? Außerdem: Was sind das für seltsame Kleintransporter, die mit eingebauten Springbrunnen durch die Straßen fahren?

Beim Näherkommen klärt sich zumindest diese Frage: Es sind mobile Fischgeschäfte. Die Ladefläche ist mit Planen ausgekleidet, gefüllt mit Wasser, darin schwimmen Fische, von oben rauscht ein Strahl aus einem Schlauch, der an eine Pumpe angeschlossen ist, fertig ist der Teich auf Rädern.

Wer heute in Bagdad lebt, ist ein Überlebenskünstler. Einige Menschen pflanzen Blumen in Autoreifen. Andere fahren Riesenrad im Saura-Park. Viele betrinken sich. Bei Nadim Nafas kostet die Dose Cazz-Bier 1000 Dinar, umgerechnet 70 Cent, eine Flasche Ouzo kostet das Zehnfache, dann kommen irakischer Dattelschnaps, B&J-Whiskey und, am ganz oberen Ende für umgerechnet 30 Euro, Johnnie Walker Label, Nafas' Lieblingsmarke. Insgesamt läuft das Geschäft hervorragend, wenn auch nicht so prächtig wie noch vor ein paar Wochen. Der Ölpreis ist eingebrochen, Iraks Wirtschaft ächzt, die Iraker - viele staatliche Angestellte - ächzen noch mehr. Jeder Schluck ist kostbar. Einerseits.

Andererseits hat jedes Glas Whiskey den schönen Nebeneffekt, dass es verboten ist, auch und am meisten von den Zottelköpfen des IS. Deshalb wird - mehr noch als bei den Champagnertrinkern in Paris nach den Anschlägen - jeder Schluck zum Widerstand. "Zu unseren Kunden gehören alle Konfessionen, Sunniten, Schiiten, Christen, Arme und Reiche - aber nur Männer", sagt Nafas: "Sie kommen, kaufen Schnaps und fluchen: Zur Hölle mit dem Islamischen Staat".

Jeden Tag steht er in diesem kleinen Verschlag in der Nidhal-Straße zwischen Tigris und Saadun-Park und findet, er hat viel Glück gehabt. Der Verdienst stimmt, die Kunden sind dankbar, der Rest ist das übliche Risiko im Irak, wo eigentlich jeder irgendwann etwas tut oder ist, was andere als Vorwand nehmen, ihm nach dem Leben zu trachten. Aber ist das Alkohol-Geschäft nicht besonders riskant? Vor zwei Jahren wurden Dutzende Menschen in Schnapsläden umgebracht, die Attentäter rauschten in Autos heran, erschossen Besitzer und Angestellte und rasten davon.

Ein paar Jahre zuvor, als die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten am schlimmsten waren und niemand, der morgens das Haus verließ, wusste, ob er abends zurückkehrt, waren die Alkoholgeschäfte ebenfalls das Ziel von Fanatikern. Ohnehin haben die Religiösen Bagdad fest im Griff, seine Politik, sein Geld, seine Immobilien, die ganze erschöpfte Stadt. Vor zehn Jahren hatten sie sogar ein Alkoholverbot durchgesetzt. Es hielt sich zwei Jahre, dann öffneten die ersten Geschäfte vorsichtig wieder ihre Türen. "Ich weiß, dass diese Arbeit verboten ist", sagt Nafas.

Jedoch: Er hat ein Ziel. Er ist Jeside, Anfang dreißig, seine Familie lebt nun in Dohuk, im kurdischen Teil des Irak. Alle anderen Läden in der Nidhal-Straße werden ebenfalls von Jesiden geführt und die in der Saadun-Straße ebenfalls. Früher gehörte das Geschäft den Christen, dann fiel der IS im Norden über die Jesiden her, die wiederum nach Bagdad flohen, um Geld zu verdienen - mit Alkohol. Selten ist eine Terrorstrategie so wenig aufgegangen.

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