Schau:Welttheater mit wuchtigem Strich

Zu Besuch bei dem Karikaturisten Horst Haitzinger, dessen Werk eine neue Ausstellung würdigt

Von Oliver Hochkeppel

Eigentlich ist dem Karikaturisten Horst Haitzinger das Arbeitszimmer in seiner Schwabinger Wohnung viel zu klein geworden. Der Tisch ist rundherum raumhoch von Mappen umzingelt. Der Großteil des inzwischen gut 15 000 Arbeiten umfassenden Oeuvres von Haitzinger befindet sich hier, jedenfalls alles, was Karikatur und Zeichnung betrifft. "Ich komm kaum noch zur Tür herein und finde auch nichts mehr. Es ist grauenhaft mittlerweile", sagt er. Trotzdem kommt ein Umzug - zum Beispiel in das alte Haus bei Schrobenhausen, wo sich sein Atelier zum Malen befindet - nicht in Betracht. "Es ist ein winziges Loch, aber ich fühl mich da am wohlsten und kann mich am besten konzentrieren." Deshalb kommt dort Tag für Tag etwas hinzu, das die Raumnot vergrößert.

Aber so ist es eben, wenn es nicht nur um die Quantität, sondern vor allem um die Qualität geht. Und es gibt nun nicht wenige, die Horst Haitzinger für den besten Karikaturisten Deutschlands halten, zumindest von den lebenden.

Warum, das kann man jetzt in einem repräsentativen Querschnitt gebündelt und im Original begutachten, bei einer Ausstellung unter dem Titel "Erschreckend aktuell", die im Rahmen des Comicfestivals München im Bier- und Oktoberfestmuseum zu sehen ist. In den drei kleinen Räumen des dritten Stocks dicht an dicht und meist in Viererblöcken gehängt, dokumentiert jede Zeichnung, wie es Haitzinger gelingt, mit jeder ein kleines Welttheater zu errichten. Unverwechselbar sind sein wuchtiger Strich, die am Surrealismus orientierten Hintergründe, die starken Kontraste und die ausgeprägte Dynamik - auch wenn andere das oft zu plagiieren versuchten. Einmal vor langer Zeit hat er gegen einen "Kollegen" eine Klage angestrengt: "Den Prozess hab' ich mit Pauken und Trompeten verloren", erinnert er sich. Seitdem bleibt er gelassen und konzentriert sich auf seine eigene Arbeit.

Horst Haitzinger

Unter dem Titel "Der Geheimtipp" erschien diese Karikatur 1987 in der "Bunten". Umweltzerstörung durch Zivilisation und Technik ist seit vielen Jahren ein bevorzugtes Thema von Horst Haitzinger. Karikatur: Horst Haitzinger

Die beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück beziehungsweise mit Teetrinken. Halbstündig hört Haitzinger Nachrichten, dabei liegt der Skizzenzettel parat. Meistens filtert sich da schon ein Thema heraus. Seine Quelle ist fast ausschließlich die Nachrichtenwelle des BR, bis vor fünf Jahren besaß er nicht einmal einen Fernseher. "Ein viel bestauntes Novum war das immer, aber ich brauchte keinen, und selbst heute sehe ich ganz wenig. Radio ist komprimierter und Phantasie-anregender, jedenfalls für mich", sagt er. Steht eine Idee zu einem Thema, geht es an die Ausarbeitung. "Die Disziplin entspricht genau der eines schreibenden Journalisten. Man wartet darauf, dass einen die Muse küsst, oft relativ lang. Deshalb legt man sich bestimmte Denkmethoden zu. Unsereins ist darauf trainiert, in Metaphern zu denken."

Und so lässt Haitzinger den - von der Bildsprache an den berühmte Sturz des Saddam-Denkmals in Bagdad erinnernden - Abtransport einer Atatürk-Statue in Istanbul von Passanten kommentieren: "Ach, der war also auch Mitglied der Gülen-Bewegung." Oder er legt im Himmel Richard Nixon beim Anblick von Trump im Fernsehen die Worte in den Mund: "So'n Clown war ich aber nun doch nicht." Wobei er das allzu Naheliegende gern verschmäht: "Das Schlimmste ist, wenn über Wochen und Monate immer dasselbe los ist. Ich meine, jetzt haben wir uns eine Zeit lang über Trump gefreut, aber jetzt wird es langsam langweilig."

Schau: Geboren am 19. Juni 1939 im österreichischen Eferding, lebt und arbeitet Horst Haitzinger, einer der besten Karikaturisten Europas, schon so lange hier, dass er inzwischen als echter Münchner durchgeht.

Geboren am 19. Juni 1939 im österreichischen Eferding, lebt und arbeitet Horst Haitzinger, einer der besten Karikaturisten Europas, schon so lange hier, dass er inzwischen als echter Münchner durchgeht.

(Foto: oh)

Komplexe Zusammenhänge mit einer zündenden grafischen Idee auf den Punkt zu bringen, diese Kunst beherrscht er wie wenige. "Beim Horst Haitzinger sieht man auf den ersten Blick, worum es geht, anders als bei vielen, bei denen man sich noch nach langem Überlegen fragt, was einem der Künstler sagen will", lobt ihn ein anderer Großer, der seit langem mit ihm befreundete Kollege Dieter Hanitzsch. Und fügt hinzu: "Nicht zuletzt kann er Hände zeichnen, das ist eine Kunst."

Auf das solide erlernte Handwerk legt Haitzinger ohnehin größten Wert. Wilhelm Busch verehrt er, mit manchem jüngeren Kollegen kann er wegen des Strichs hart ins Gericht gehen, "auch wenn die Zeichnungen lustig sind". 1939 im oberösterreichischen Eferding geboren, studierte Haitzinger von 1953 bis 1957 Gebrauchs- und Werbegrafik an der Kunstgewerbeschule im nahen Linz (er hat sich schon einmal als "eine Art Wiedergutmachung" bezeichnet für den anderen Maler, der von Linz nach München ging), bevor er zum Malerei- und Grafikstudium an die Akademie der Künste nach München wechselte, wo er seither lebt. Schnell fasste er schon neben dem Studium als Karikaturist Fuß, zunächst beim "Simplizissimus". Mit ihrer Gründung 1968 wurde Haitzinger Hauskarikaturist der tz, der er bis heute geblieben ist. Jahrzehntelang lieferte er auch ganzseitige, im Gegensatz zu den Zeitungsarbeiten farbige Arbeiten für die Bunte. Heute ist er in mehr als zehn Zeitungen bundesweit vertreten.

Schau: "Arche WWF" (1986). Karikatur: Horst Haitzinger

"Arche WWF" (1986). Karikatur: Horst Haitzinger

Von keiner Redaktion hat er sich je hineinreden lassen. "Mit vielen Redakteuren hat sich aber über die Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, da nimmt man gerne Anregungen auf", sagt er. So hart seine Urteile in der Sache sind - der Umweltschutz etwa ist ein Thema, das ihm seit jeher besonders am Herzen liegt -, so neutral ist er parteipolitisch. "Ich bin meine eigene Partei", sagt er gerne. Die Auswahl und Hängung der aktuellen Ausstellung hat er aber gerne Heiner Lünstedt und Reiner Schneider vom Comicfestival überlassen. "Die haben das vorbildlich gemacht. Nicht zuletzt glaube ich, jede Menge Zeichnungen entdeckt zu haben, die ich ihnen nach meiner Erinnerung gar nicht gegeben habe. Man selbst hat ja seine Lieblinge, die aber die Leute vielleicht gar nicht mehr verstehen. Je größer die Auswahl ist, desto größer werden die Bauchschmerzen. Deshalb hilft es mir, wenn nach einer Vorauswahl jemand von außen drauf sieht."

Horst Haitzinger: Erschreckend aktuell, bis Juli, Bier- und Oktoberfestmuseum, Sterneckerstraße 2

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