Satire:Treu wie Gollum

Satire: Ein Arzt in der Türkei verglich im Internet Erdoğan mit einer Tolkien-Figur. Jetzt steht er vor Gericht.

Ein Arzt in der Türkei verglich im Internet Erdoğan mit einer Tolkien-Figur. Jetzt steht er vor Gericht.

(Foto: Twitter)

Nicht bloß Böhmermann: Der türkische Staatspräsident hat in der Türkei unzählige Klagen wegen Beleidigung angestrengt. Unter anderem gegen einen Arzt, der seinen Gesichtsausdruck mit einer Tolkien-Figur verglich.

Von Tim Neshitov

Dieser Tage wird in der Türkei ein Urteil im sogenannten Fall Gollum erwartet. Ein Arzt veröffentlichte im vergangenen Jahr auf Twitter drei Bildcollagen, auf denen jeweils der Präsident Recep Tayyip Erdoğan und die Fantasyfigur aus der Verfilmung von "Der Herr der Ringe" von J. R. R. Tolkien zu sehen waren. Der Arzt, er heißt Bilgin Çiftçi, erkannte zwischen den beiden eine gewisse Ähnlichkeit. Er wurde kurzzeitig festgenommen und hat seine Stelle im staatlichen Krankenhaus schon mal verloren. Nun soll ein Gericht im westtürkischen Aydın darüber befinden, ob Çiftçi den Staatspräsidenten beleidigt hat.

Ein Sachverständigengutachten, das den Richtern vorliegt, bezeichnet die Tolkien'sche Kreatur als "eine gute, friedliebende, treue und positive Figur" - also könne man damit niemanden beleidigen. Es hatte Verwirrung und eine ernste Diskussion darüber gegeben, wer genau auf den Collagen abgebildet ist: Der böse Gollum oder eher Sméagol, bei Tolkien ein ursprünglich liebenswertes Wesen, das im Zuge seines unterirdischen Daseins zu Gollum mutiert. Peter Jackson, Regisseur des Films, sah sich gezwungen, in einer schriftlichen Erklärung zu versichern, es handele sich um Sméagol: "Sméagol lügt nicht, betrügt nicht und versucht nicht, andere zu manipulieren."

Erdoğans Dünnhäutigkeit ist nicht nur im Fall Böhmermann zu spüren. Der Staatschef hat seit seinem Amtsantritt im August 2014 an die zweitausend Strafverfahren wegen mutmaßlicher Beleidigung der eigenen Person angestrengt. Dies beschäftigt mittlerweile das türkische Verfassungsgericht. Die obersten Richter prüfen, ob Paragraf 299 des Strafgesetzbuches vielleicht verfassungswidrig sein könnte. Der Paragraf sieht eine Haftstrafe von einem bis zu vier Jahren vor für jede Person, die den Präsidenten beleidigt, wobei Beleidigung nicht näher definiert wird. Ein dreizehnjähriges Kind wurde schon wegen eines abfälligen Facebook-Posts verhört. Und ein sechzehnjähriger Schüler wurde aus dem Klassenzimmer abgeführt und zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er auf einer Demonstration Erdoğan einen "Meister der Bestechung" nannte.

Das Erdoğan-Video übrigens, das der angeklagte Arzt als Vorlage seiner Gollum-Collage verwendete, findet sich auf Youtube. Es sagt nicht weniger über den Staatspräsidenten aus als dessen Klagewut. Erdoğan trägt da ein blaues Jackett und trifft in einem Park in der Stadt Ordu an der Schwarzmeerküste auf ein Kind mit Brille, den Grundschüler Arda. Das Kind umarmt Erdoğan und sagt in seinen Bauch hinein: "Du hast meine Träume verwirklicht."

Erdoğan fragt die Mutter "Warum liebt er mich nur so?" und macht das Gollum-Gesicht.

Mutter, aus dem Off:"Das liegt an Ihnen."

Kind: "Mein Opa wählt MHP und so, oder CHP (Oppositionsparteien - Red.), keine Ahnung - aber ich bin für Sie!"

Erdoğan küsst das Kind.

Ob der Paragraf 299 bestehen bleibt oder nicht, Erdoğan hat genug Unterstützer in der Türkei. Ein Lkw-Fahrer aus dem westanatolischen Torbalı verklagte im Februar seine eigene Frau, weil sie auf Erdoğan geschimpft hatte. Folgendes berichtete der Kläger im Radio: "Ich sagte ihr: Ich nehme deine Stimme auf und beschwere mich. Und sie: Bitte schön, nimm auf, ich kann für dich noch mal schimpfen. Ich begann, mit dem Handy aufzunehmen. Sie schimpfte los. Auch auf mich. Sie fragte: Hast du jetzt aufgenommen? Ich sagte: Ja, habe ich. Und sie sagte: Am Montag reiche ich die Scheidung ein."

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