Salzburger Festspiele:Ein "Jedermann", vergeblich säkularisiert

Jederman, Salzburg 2017

Moretti spielt den Jedermann psychologisch, ja pathologisch. Aber der Text gibt das nicht her.

(Foto: Matthias Horn)

Der Salzburger "Jedermann" mit Tobias Moretti ist der kürzeste, grüblerischste und humorloseste aller Zeiten.

Von Christine Dössel, Salzburg

Jetzt könnte man natürlich sagen, der Himmel sei schuld. Der Herrgott persönlich habe dem neuen Salzburger "Jedermann" gegrollt und ihn potzblitzend versenkt. Es ging vor Beginn dieser mit Spannung erwarteten Neuinszenierung des "Spiels vom Sterben des reichen Mannes" nicht etwa nur der berühmte Salzburger Schnürlregen hernieder, nein, es duschte so regenschauerlich, dass die Premiere kurzfristig vom Domplatz ins Große Festspielhaus verlegt werden musste.

Es sollte ein "Jedermann" für 2017 werden, deswegen wurde viel umgeschrieben und gestrichen

Man ist bei den Salzburger Festspielen auf solches Wetterunbill natürlich vorbereitet. Auf der Eintrittskarte für den Domplatz ist für alle Regenfälle schon der Alternativ-Sitzplatz im Festspielhaus angegeben, und es wurde drinnen auch viel geprobt, aber glücklich sein kann mit dieser Situation niemand. Der "Jedermann", das katholische Bekehrungsspiel von Hugo von Hofmannsthal aus dem Jahr 1911, ist in Salzburg seit Max Reinhardts Zeiten für den Domplatz gedacht und gemacht und verdankt einen Großteil seiner unverwüstlichen Wirkung der großartigen Freiluftkulisse: der Erhabenheit des barocken Domgebäudes mit seiner prachtvollen Fassade, dem Geläut der Kirchenglocken, den markigen "Jedermann!"-Rufen, die durch die sommerliche Abendluft schallen und jeden einzelnen Zuschauer meinen: Auch du wirst einmal sterben müssen!

Das alles ist im Breitwand-Guckkastenformat innen drinnen nur noch halb so prickelnd. Der Regen hat die Premiere im Freien zwar vermasselt, aber für die Unausgegorenheit und extreme Unsinnlichkeit dieser profanen neuen "Jedermann"-Inszenierung kann er nichts, auch nichts für ihre Geschmacksverirrungen. Der Wiener Regisseur Michael Sturminger wurde erst im April mit der Mission beauftragt, nachdem sich die Festspielleitung von dem seit 2013 agierenden Regie-Duo Julian Crouch und Brian Mertes getrennt hatte. Eigentlich hätte deren recht erfolgreicher "Jedermann" weitergespielt werden sollen, eine schaulustig-bunte Inszenierung mit Anklängen an Jahrmarkt, Straßen- und Puppentheater.

Allerdings mussten neun Rollen neu besetzt werden, allen voran der Titelheld, den nun Tobias Moretti spielt. Bei der Neukonzeption kam es zu Unstimmigkeiten. So war zum Beispiel zu hören, dass Moretti sehr genaue Vorstellungen von einem "Jedermann" im Jahr 2017 hat. Ein "Jedermann" für heute ist denn auch die Grundidee, der sich Michael Sturmingers Regie verpflichtet fühlt. Heißt zunächst einmal: weg von aller Theaterfeierlichkeit, Großspurigkeit, Deklamation, hin zu leiseren Tönen, mehr Intimität und Zeitgenossenschaft. Gewissermaßen die Säkularisierung des "Jedermann". Sturminger, sein inoffizieller Co-Regisseur Moretti und die Dramaturgin Constanze Kargl rückten zu diesem Behuf dem Originaltext mit seiner verzopften Sprache stark zu Leibe, bügelten und strafften die Hofmannsthalschen Knittelverse, strichen viel und aktualisierten teils sogar. So will Jedermann hier gleich den ganzen Dom umbauen und daraus einen "Liebestempel" machen: "Und wo das Taufbecken stand, da richt' ich eine Badestube ein."

Sturminger fällt zur Heutigkeit der Figuren nicht viel ein

Zeitgenossenschaft heißt für Sturminger Verkleinerung, Ernüchterung, Entmystifizierung, aber auch: viel Video-, Gardinen- und LED-Einsatz. Die Domfassade mit den drei mächtigen Torbögen - im Festspielhaus auf die Rückwand projiziert - wird in einer Bühnenkonstruktion des Ausstattungsteams Renate Martin und Andreas Donhauser abstrakt noch einmal gespiegelt: durch ein das Portal zeichenhaft zitierendes Leuchtrahmengestell. Sein Sockel ist eine Art Videomauer, über die schon mal die digitalen Worte Gottes laufen. Durch weiße Vorhänge werden Räume und intimere Situationen geschaffen. Beim "Jedermann" gilt das schon als Revolution. Auch die Musik, komponiert von Mathias Rüegg, geht weg vom Spektakeligen hin zum Kammerorchester.

Jedermann spielt selbst ein Instrument. Nachdem er hier gleich zu Beginn schon vom Tod gerufen wurde, trompetet Moretti auf seinem Lotterbett vor sich hin. Erstes Indiz dafür, dass dieser Todeskandidat "die Melancholie" hat, wie später einer vermutet. Die Szene zeigt den Lebemann am Morgen nach einer Party, er trägt eine getönte Angeberbrille und einen ausgesucht scheußlichen Morgenmantel, ringsum verteilt: die Reste und Gäste der Nacht. Es dauert nicht lange, da kommt schon der arme Nachbar (Roland Renner), den Jedermann mit einer Philosophie des Geldes abspeist, die ihn als modernen Investmentbanker ausweist. Vom gleichen Schlage wie er scheint auch Fritz Eggers "Schuldknecht" zu sein, nur dass sich dieser gegelte Rosa-Hemden-Träger blöderweise verspekuliert hat und nun abgeführt wird. Seine Frau und fünf Kinder nehmen nicht etwa "in Lumpen" Aufstellung, sondern in pastellfarbener Glitzerklischeehaftigkeit. All das ist brav bis zum Abwinken. Sturminger fällt zur Heutigkeit der Figuren nicht viel ein.

Keine Spannung, keine Chemie, keine Komik

Der gute Gesell ist bei Hanno Koffler ein nichtssagender Rockertyp, Jedermanns Mutter bei Edith Clever eine Grande Dame von großer Eleganz und Sprechkultur. Sie liefert ihren Auftritt wie einen Spaziergang ab. Wirklich in Bezug gesetzt werden die Figuren nicht zueinander, es gibt zwischen ihnen keine Spannung, keine Chemie, keine Komik. Das macht den Abend harmlos und fad. Selbst die Buhlschaft bleibt als Jedermanns leidenschaftliche Geliebte eine reine Behauptung. Stefanie Reinsperger enttäuscht gerade auch deshalb so sehr, weil man in sie als schauspielerische Wuchtbrumme hohe Erwartungen gesetzt hatte.

Aber Sturminger weiß mit ihrer drallen Körperlichkeit nichts anzufangen, Moretti auch nicht, und so wirkt Reinsperger einfach nur wie ausgestellt, da kann sie ihrem Liebsten noch so nüchtern-realistisch Ade sagen. Das lachsrosa Federviehkleid, in das man sie unvorteilhafterweise gesteckt hat, gehört verboten. Sturmingers "Jedermann" ist eine komplett erotikfreie Zone, leider auch eine humorfreie. Lustige Nummern werden verschenkt. So sind der dicke und der dünne Vetter hier bloße Laffen, der Mammon (Christoph Franken) kommt als güldenes Zottelmonster daher, dass sich fett und feist auf Jedermann wie auf die Verse draufsetzt, und selbst der Teufel, sonst eine sichere Bank, hat bei Hanno Koffler weder dämonischen Witz noch Biss.

Im Zentrum: Tobias Moretti bei dem intensiven Versuch, den Jedermann psychologisch, ja pathologisch zu spielen, ihm Kammerspiel-Tiefe zu geben. Was der Text natürlich nicht hergibt. Anders als seine Vorgänger setzt Moretti nicht auf raumgreifende Gesten, sondern geht in sich, wird leise, ernst, grüblerisch. Die Erkenntnis, dass er sterben muss, breitet sich wie ein Tumor in seinem Kopf aus. Die Bühne kippt, wenn der Tod sich Jedermann nähert: Tabula rasa. Peter Lohmeyer ist als Todes-Diva im langen Kleid eindrucksvoll in seiner schlängelnden Laszivität und Anmut. Der Kuss, den er Moretti gibt, wird am Ende von diesem erwidert werden. Der Weg dahin führt über die Intensivstation. Es ist die zarte, fast durchsichtig scheinende Mavie Hörbiger, auf die Jedermann im Krankenhausbett trifft: die Inkarnation seiner kümmerlichen "guten Werke". Zu ihr geht er eine innigere Beziehung ein, als er zur Buhlschaft je hatte. Bekehrt wird der Sünder weniger durch den Glauben an Gott als durch den Glauben an Vergebung. An Errettung. Das rettet diesen Theaterabend aber nicht.

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