Salonlesung:Der Stoff, aus dem die Albträume sind

Salonlesung: Wenn Welten aufeinanderprallen: Der irakische Autor und Filmemacher Hassan Blasim lebt in Finnland. Gerade erschien ein Erzählband auf Deutsch.

Wenn Welten aufeinanderprallen: Der irakische Autor und Filmemacher Hassan Blasim lebt in Finnland. Gerade erschien ein Erzählband auf Deutsch.

(Foto: Katja Bohm)

In Antje Kunstmanns Wohnung erzählt der Iraker Hassan Blasim

Von Antje Weber

Finnen und Iraker - können die zusammenpassen? Als Hassan Blasim gerade in Finnland angekommen war, traf er auf einen Arabisch sprechenden Mann. Wie denn die Menschen hier so seien?, fragte er ihn. "Oh shit", antwortete der, "sie trinken zu viel, sie reden nicht, und sie sind depressiv." Oh shit, dachte Blasim, der eine lange Flucht hinter sich hatte, das ist ja wie im Irak: Die trinken zu viel, aus Angst reden sie nicht, und depressiv sind sie auch!

Hassan Blasim ist trotzdem geblieben. Seit zwölf Jahren lebt er nun in Finnland, dessen Ruhe und Frieden er schätzen gelernt hat. Doch nicht alles, was der 42-jährige Autor und Filmemacher erzählt, hat einen solch heiteren Unterton. Er ist Gast des "Salonfestivals", das an diesem Abend erstmals in München stattfindet. Die Verlegerin Antje Kunstmann hat ihre schöne Altbau-Wohnung für das deutschlandweite Netzwerk geöffnet. Der Rahmen ist öffentlich (weitere Termine unter www.salonfestival.de), aber bewusst intim: "Die Menschen sehnen sich wieder nach dem Analogen", sagt Veranstalterin Claudia Bousset.

Und sie sind ganz dicht dran, die Menschen, die im Wohnzimmer auf Klappstühlen kauern, im Türrahmen zur Küche lehnen oder auf einer Weltkugel aus Stoff Platz nehmen - dem "Welt-Puff", wie ein Besucher scherzt. Blasim sitzt mit Moderatorin Cornelia Zetzsche in einer Fensternische im warmen Lampenschein. Doch wenn man ihm länger zuhört, wirkt die Welt weder gemütlich noch wie ein Puff, sondern wie ein gigantisches Schlachthaus. Vor allem, wenn man dazu Blasims beeindruckenden Erzählband "Der Verrückte vom Freiheitsplatz" (Kunstmann Verlag, selbstredend) liest: Drastische, ins Groteske getriebene Geschichten sind das, bei denen einem der Atem stockt, so viel Grauen muss darin Platz finden. Gleichzeitig zeugen diese Geschichten von dieser ungestümen Lust am Fabulieren, die Blasim auch als mündlichen Erzähler zu einem charismatischen Chronisten macht.

Eines jedoch ist er mitnichten: der nette orientalische Märchenonkel. Schon allein ein paar wenige Details seiner Flucht vor dem Geheimdienst des Diktators Saddam Hussein - bei einem Restaurant-Job in der Türkei verlor Blasim einen Finger, in Bulgarien erlebte er folternde Grenzsoldaten -, enthalten Stoff für endlose Albträume. Und Blasim ist wütend, sehr wütend über den Egoismus von uns Europäern und Amerikanern, die wir glauben, die Moral gepachtet zu haben und gleichzeitig bedenkenlos andere Länder wie den Irak zerstören. "Warum wundert sich Europa, wenn Flüchtlinge kommen?" fragt er beißend und fordert: "Öffnet die Grenzen!"

Er selbst hat es jetzt leichter, Grenzen zu überwinden. Auf seiner Odyssee durch Europa, erzählt er, blickten er und andere Fliehende oft in den Himmel, sahen dort Flugzeuge fliegen und überlegten, ob darin wohl Touristen säßen. Jetzt, da sein Buch in viele Sprachen übersetzt wird, sitzt Hassan Blasim immer wieder selbst im Flugzeug. Und sagt, obgleich mit schiefem Lächeln, auch einen solchen Satz: "Es ist ein wunderbares Leben."

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