Salman Rushdies "Joseph Anton":Im Lichte der Drohung

Einen falschen Namen tragen, in geheimen Wohnungen und unter ständiger Bewachung leben: Salman Rushdie erzählt in seinen Memoiren "Joseph Anton" die Geschichte seines Lebens unter der Fatwa. Er tut es sachlich, beinahe bescheiden und verspinnt seine eigene Geschichte mit den großen Konflikten dieser Zeit.

Thomas Steinfeld

Zwei Geschichten sind zu erzählen. Die eine ist weltumspannend, kompliziert und grausam, weil sie von religiösem Fanatismus handelt, von Politik und von einem Todesurteil, das gegen einen Schriftsteller vollstreckt werden sollte, irgendwo auf der Welt, weil ihm eines seiner Bücher als Gotteslästerung ausgelegt worden war. Die andere Geschichte ist einfach, viel privater und bei aller Bitterkeit sehr menschlich, weil sie davon erzählt, wie sich dieser Schriftsteller ein Jahrzehnt lang verbergen und vor der Öffentlichkeit hüten musste, wer ihm dabei half und wer ihn dabei im Stich ließ, wohin seine Wege führten und wie er geschützt wurde und wie er dann doch überlebte.

Salman Rushdie Biographie

"Er" schreibt in seiner Autobiographie über seine Kindheit in Bombay, die Zeit als Werbetexter, das Leben mit der Fatwa - und über alles, was darüber hinausgeht.

(Foto: AP)

Die eine Geschichte rührt an einen der großen Konflikte dieser Zeit, an den islamischen Fundamentalismus und seinen Feldzug gegen alles, was er für blasphemisch halten will. Die andere ist eine Lebens-, Liebes- und Abenteuergeschichte aus der Welt der berühmten Schriftsteller, und wenn der Held auch immer wieder in existenzielle Bedrängnis gerät, so steht er doch am Ende wieder auf einem Trottoir in London, ohne Polizeischutz, und winkt ein Taxi herbei.

Salman Rushdies Buch "Joseph Anton", am Dienstag dieser Woche in fünfundzwanzig Ländern gleichzeitig erschienen (C. Bertelsmann Verlag, 24,99 Euro), enthält in der deutschen Fassung 720 Seiten und die Geschichte der Jahre, in denen er, nachdem Ayatollah Khomeini im Februar 1989 "sämtliche Muslime" aufgefordert hatte, ihn hinzurichten, einen falschen Namen tragen, in geheimen Wohnungen leben, unter ständiger Bewachung leben musste. "Die Autobiografie" heißt dieses Buch im Untertitel. Aber um eine solche zu sein, hätte das Buch aus einer anderen, inneren Perspektive geschrieben sein müssen.

Autobiografien erzählen davon, wie einer wurde, was er ist. Das aber tut dieses Buch nicht. Salman Rushdie berichtet stattdessen, was ihm in diesen Jahren widerfuhr, was er tat und was andere taten, wer starb und welche Personenschützer engagiert wurden. Immer wieder bemerkt der Leser, dass ein an den tatsächlichen Ereignissen entlang geführtes Tagebuch diesem Werk zugrundegelegen haben muss. Ein Buch der "Memoiren" hat Salman Rushdie geschrieben, und dazu gehört, dass die Gesellschaft darin viel wichtiger ist als das "Ich".

Von Selbstüberhöhung keine Spur

Die Bindung an die Gesellschaft ist der Grund, warum Salman Rushdie von sich selbst in der dritten Person Singular erzählt: "Er" tat dies, "er" tat jenes. Selbst die Ausflüge in die Vorgeschichte des Protagonisten, an die Kindheit in Bombay (Mumbai), die Schulzeit an der Rugby School, das Studium in Cambridge, an die Jahre als Werbetexter und scheiternder Literat sind aus der Perspektive des "Er" geschrieben.

Das tut dem Buch gut: Salman Rushdie liefert keine Rechtfertigungen, und er erhöht sich nicht zum Helden demokratischer Tugenden. Er beschwört keine Dialoge, und er führt keine Wertedebatten. Er entpuppt sich als aufmerksamer, redseliger, zuweilen sogar selbstironischer Zeitgenosse, der keine großen Unterschiede zwischen persönlichen, beruflichen und öffentlichen Angelegenheiten macht und die Aufmerksamkeit eines großen Publikums genießt.

Auftritt mit Ukulele - und Bono von U2

Und weil das Buch nicht einmal den Versuch macht, große Dichtung zu sein, funktioniert es gut als Literatur. Der Leser kennt das Kapitel Weltgeschichte, das mit Salman Rushdie verknüpft ist, und wenn der Schriftsteller von diesen zehn Jahren im Ton der Gewöhnlichkeit erzählt, wirkt selbst der gemeinsame Auftritt mit Bono auf einem Konzert der Band U2, als wäre da jemand mit einer Sopran-Ukulele unter dem Arm in eine Monstershow geraten - und dabei auf lauter andere Menschen mit Ukulelen unter den Armen gestoßen.

Diese Gewöhnlichkeit ist das Glück des Schriftstellers Salman Rushdie, wobei diese Gewöhnlichkeit zwei Seiten hat: Die eine ist der erstaunliche künstlerische und soziale Aufstieg eines entlaufenen Werbetexters, dessen größtes Verdienst die Erfindung von Wörtern wie "irresistibubble" für eine mit Luft gefüllte Schokolade war. Die andere ist die Aufnahme in eine Art Weltgesellschaft der berühmten Literaten und ihrer Verbündeten in Politik, Film, Publizistik und Musik. "Gemeinsam mit Andrew und Camie Wylie" lautet ein Satz, der, mitsamt dem ihm innewohnenden leichten Beben des Stolzes, in diesem Buch in vielen Varianten vorkommt, "fuhren er und Elizabeth in deren Haus in Water Bill auf Long Island, wo Ian McEwan, Martin Amis, David Rieff, Bill Buford und Christopher und Carol Hitchens zu ihnen stießen".

Wären "Die satanischen Verse" nur gelesen worden

Diese Weltgesellschaft der Literatur besteht aus vielleicht zwei- oder dreihundert Menschen, deren Namen im sorgfältig geführten Register des Buches verzeichnet sind, und zusammen bilden sie offenbar, im buchstäblichen Sinne, ein globales Dorf. Würde diese Gesellschaft aus Autoren und Agenten nur an- oder aufgerufen: Es wäre schiere Angeberei und nicht zu ertragen. Aber Salman Rushdie ist offenbar so froh darüber, hier angekommen zu sein, und diese Gesellschaft scheint sich in den Jahren seiner Bedrohung unter dem Strich so anständig verhalten zu haben, dass der Leser ihm fast noch ein paar berühmte Freunde mehr wünschen möchte.

Viele der kleinen und mittleren Händel, die den literarischen Betrieb ausmachen, stehen nach Verkündigung der Fatwa unter einer fremden Prämisse: Wie erscheint dieses oder jenes Gespräch, diese oder jene Verabredung, dieser oder jener Vertrag nun im Lichte der Drohung? Dabei geht es um Konsequenz in Fragen der Meinungsfreiheit, um moralische Integrität und schließlich auch - was Salman Rushdie wichtiger als alles andere zu sein scheint - um persönliche Loyalität. Die Liste der Menschen, von denen sich Salman Rushdie enttäuscht sieht, ist lang. Sorgfältig verzeichnet er jeden Namen, und dazu gesellen sich die Namen habgieriger Hausbesitzer und gelegentlicher Geliebter.

So entstehen Helden, der norwegische Verleger William Nygaard zum Beispiel, der im Oktober 1993 vor seinem Haus von einem Attentäter schwer verletzt wurde, oder auch Günter Grass, der eine Art öffentlicher Bürgschaft für Salman Rushdie übernahm. Und es entstehen Opportunisten und Verräter, allen voran John Le Carré, der Salman Rushdie für einen blasphemischen Autor hielt und Blasphemie bestraft sehen wollte, oder der britische Außenminister Douglas Hurd.

Und schließlich gibt es Menschen wie den amerikanischen Verleger Sonny Mehta, der erst Freund, dann Verräter und zuletzt wieder Freund ist. Wobei Salman Rushdie keinen Hehl daraus macht, wie sehr er sich darüber freut. Blickt man zurück auf die mehr als dreiundzwanzig Jahre, die seit Ayatollah Khomeinis Befehl, diesen Schriftsteller "hinzurichten", vergangen sind, erscheint diese Fatwa wie der Anfang einer langen, grausamen Geschichte, die seitdem nicht mehr aufhören will. Salman Rushdie erklärt in seinem Buch immer wieder, dass man seinen Roman "Die satanischen Verse", wäre er denn gelesen worden, unmöglich als Gotteslästerung hätte verstehen können.

Die Fatwa zielte deshalb auf Größeres

Das Argument ist ein wenig hilflos. Denn Interpretationen spielen keine Rolle, wenn es einem fundamentalistisch gewordenen Glauben darum geht, der Welt mit Gewalt zu demonstrieren, dass sein Gott und dessen Prophet nicht der Freiheit der Meinung und der Kunst unterliegen. Und in der Wirkung macht es, zumindest in islamischen Gesellschaften, nur einen geringen Unterschied, ob man zu Unrecht der Lästerung verdächtigt wird oder ob man die Blasphemie sucht, wie es der dänische Karikaturist Kurt Westergaard betrieb oder es in diesen Tagen die Autoren des amerikanischen Schmähvideos taten.

Als die Führer der islamischen Revolution Salman Rushdie zu ihrem Feind erklärten, wussten sie, was sie taten. Der Autor war damals das literarische Versprechen einer neuen, bunten, multikulturellen Welt - und er war es geworden, weil er seine indische Herkunft mit dem Roman, einem westlichen Medium, verbunden hatte. Die Fatwa zielte deshalb auf Größeres als auf einen Schriftsteller: Sie sollte trennen, sie sollte scheiden, sie sollte das Gemischte auseinandertreiben. Und so kam es dann auch, und ärger wohl noch, als es die islamischen Führer hatten vorhersehen können. Oder anders gesagt: Wer gewinnt etwas, wenn man, mit voller Absicht, ein Schmähvideo wider den Islam ins Internet stellt? Der Islam? Die Meinungsfreiheit?

Salman Rushdie erzählt in seinen Memoiren die Geschichte eines pakistanischen Films, in dem eine Figur, in der er sich wiedererkennen musste, zuerst von einer islamischen Guerilla gejagt und dann von einem göttlichen Blitz verbrannt wird. Die britische Film-Prüfstelle hatte ihn gefragt, ob der Film verleumderisch sei und eventuell nicht auf den Markt kommen dürfe. Salman Rushdie sprach sich für die Freigabe aus. Man solle, schreibt er, "selbst die verwerflichste Aussage" veröffentlichen. Selbstverständlich hat er recht. Und nach der Veröffentlichung kann man nach Gründen suchen, die Lage analysieren, erklären. Salman Rushdie muss das nicht selber machen. Er reicht aus, wenn er sagt, was war. Das ist gut für ihn, und das ist gut für seine Leser.

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