Sängerin Zaz:Euren Plunder brauch ich nicht

Charles Aznavour Zaz

Die ehemalige Straßenmusikerin Zaz arbeitet inzwischen mit dem Produzenten Quincy Jones und der Chansonlegende Charles Aznavour (im Bild) zusammen.

(Foto: Yann Orhan / Warner Music)

Die junge Französin Zaz gilt als neue Edith Piaf. Sie ist ein Exportschlager des von Depressionen heimgesuchten Frankreichs. Eine Begegnung in der von ihr besungenen Stadt Paris.

Von Alex Rühle, Paris

Plötzlich war sie da, im Sommer 2010. Diese raue, kraftvolle, koboldartige Stimme. Die kleine Frau im Ökochic, Ballonmütze, Karohose, Springerstiefel, die dem hochgekoksten Pariser Bling-Bling den Mittelfinger rausstreckte: "Je veux!" wurde über Nacht zur Hymne aller Anti-Konsumisten: "Ich brauch euren ganzen Plunder nicht, gebt mir stattdessen das Leben, die Liebe, das Glück" - "Je veux d'l'amour / d'la joie, de la bonne humeur, / ce n'est pas votre argent / qui fera mon bonheur / moi, j'veux crever la main sur le cœur."

Der Song klang wie eine Art freundliche Vertonung des im selben Jahr erschienen Pamphlets "Empört euch" von Stéphane Hessel.

Plötzlich ist sie da, im Herbst 2014. Schlüpft auf ihren Stuhl im Café im 3. Arrondissement und fragt, ob sie mal gerade den Kaffeelöffel haben könne. "Äh klar, hab ich aber schon benutzt." "Na, du wirst schon kein Ebola haben."

Spricht's, wischt sich eine Strähne aus der Stirn und nimmt mit dem Löffel irgendein Grippemittel. "Ist anstrengend gerade, hab Fieber, la galère . . ." La galère könnte man übersetzen mit Ochsentour, die neue CD erscheint an diesem Wochenende, und jetzt wollen alle was von ihr, schließlich ist sie mittlerweile nicht mehr die Überraschung eines Sommers, sondern Frankreichs Exportartikel Nummer eins.

Das neue Album "Paris" erscheint zeitgleich in 50 Ländern, das Management drückt kräftig auf die Tube, die neue Piaf, die große ZAZ.

Das mit der Piaf hat sie sich selbst zuzuschreiben, oder nicht?

"Och", sagt sie, und dieses "och" klingt, als würde sie durch einen langen enggewundenen Schlauch reden, "ooooch, noooon, tout, mais pas ça, s'il te plaît, seh' ich etwa aus wie die Piaf?"

Na ja, gerade das mit der Piaf hat sie sich ja selbst zuzuschreiben, wer plötzlich inbrünstig lauter alte Hymnen auf Paris schmettert, der wird unweigerlich mit der kleinen Sängerin verglichen. "Mais non!", ruft sie, "umgekehrt wird ein Schuh draus. Alle haben gesagt, ich soll ein Piaf-Album machen, weil meine Stimme angeblich so ähnlich klinge. Stattdessen wollte ich alte Chansons über Paris singen. Hier bin ich schließlich zu Hause."

Nun haben einige französische Kritiker zwar eingewendet, dass das erst seit ein paar Jahren stimme. Die Künstlerin Zaz ist in Paris zu Hause, Isabelle Geffroy aber wurde 1980 in Tours geboren, von wo sie auch erst relativ spät wegging.

Zaz

Videoclip für "Paris sera toujours Paris"

Aber was ist denn das bitte für ein Argument? Dürfen nur autochthone Pariser ihre Stadt besingen? Dann hätte ja Charles Trenet nie "La Romance de Paris" schreiben dürfen, der kommt nämlich ursprünglich aus Narbonne. Oder Leo Ferré, der die Hauptstadt in "Paris canaille" so liebevoll beschimpft hat - er stammt aus Monaco. Und Casimir Oberfeld war polnischer Jude. Er schrieb im Oktober 1939 "Paris sera toujours Paris", eine inständige Beschwörung der Stadt, der Krieg dräut schon am Horizont des Liedes, - "Sie können uns noch so viel verordnen, den Jazz verbieten und Gasmasken verteilen" - aber Oberfeld bleibt bei seinem Refrain, Paris werde immer Paris bleiben, la plus belle ville du monde. Er wurde später deportiert und starb 1945 auf einem der Todesmärsche von Auschwitz.

Hier wird nach Kräften das wunderbare alte Paris beschworen

Das Album eröffnet mit diesem Song, Oberfelds biografischer Hintergrund wird nicht thematisiert, und das Ganze klingt in der Orchestrierung mit Klarinette, Banjo, kleiner Combo auch einfach nur leicht, heiter, schnell und lustvoll wie eine Jahrmarktsnummer. Aber es ist eben doch ein feiner Kniff, ein solches Album mit einem durch die Geschichte derart aufgeladenen Song zu starten.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: "Paris" ist weder sozialkritisches Œuvre noch irgendwie schwer verdaulich. Im Gegenteil, hier wird in allen Songs nach Kräften das wunderbare alte Paris beschworen, das mit Akkordeon und Liebespaaren, dem Eiffelturm im Hintergrund, viel Rotwein, das Postkartenbild eben, das diese Stadt so gern von sich verkauft und dem hier auch noch mit akustischem Weichzeichner nachgeholfen wird: Dass das Ganze so satt und cinemascopisch akkordeonös klingt, liegt auch an Quincy Jones, der das Album mitproduziert hat.

Zum Beispiel "Sous le ciel de Paris", dieser unendlich oft gecoverte Piaf-Song. Bei Zaz beginnt das ganz intim, nur eine Gitarre und ihre Stimme: Zaz. Im Verlauf des Songs dreht das dann immer mehr in Richtung slawischen Jazz, synkopisch, mit flatternder Klarinette. Und am Ende hält Zaz sechs Takte lang ein hohes "a", strahlend wie der Oktoberhimmel über Paris an diesem Nachmittag.

Sie haben übrigens richtig gelesen. Quincy Jones. Jahrgang 1933, Produzentenlegende. An seiner Seite John Clayton, noch so eine Legende. Und Charles Aznavour singt bei Zaz' Cover-Version seines "J'aime Paris au mois de mai" mit. Thomas Dutronc ist auch bei einem Song dabei, und so ist das Album schon ein ziemliches All-Star-Ding geworden.

Zaz (rechts) mit Quincy Jones.

"Paris" ist schon ein ziemliches All-Star-Ding geworden: Zaz (rechts) mit Quincy Jones.

(Foto: Yann Orhan / Warner Music)

Die Franzosen werden es lieben, "Paris" liefert die Tonspur zu der mit Händen zu greifenden, verzweifelten Sehnsucht nach der Vergangenheit. Zu Teilen ist das verständlich, schließlich assoziiert man mit dem Paris von 2014 eher das Zentrum der französischen Malaise, la crise, la dépression - und dazu ein Präsident, der immer dreinschaut wie die Allegorie eines Magengeschwürs.

"Das Leben ist doch dermaßen großartig!"

Am Tag des Treffens mit Zaz erscheint in den französischen Zeitungen eine Umfrage, derzufolge die Leute in Somalia und in Tschad zufriedener mit ihrem Leben sind als die Franzosen.

"Somalia!" Wenn Zaz lacht, bebt der Cafétisch. "Die Leute sind komplett verrückt", sagt sie. "Das Leben ist doch dermaßen großartig!"

Nun sagt sich so etwas natürlich leicht, wenn man selbst auf einer Welle des Erfolgs schwimmt, ein neues Album am Start hat und gerade zurückkommt von einer Welttournee. Und? Der schönste Moment auf dieser Tournee? "Serbien war toll. Die Türkei auch.

Sibirisches Postmetalpunkpulkgehopse

Aber das Surrealste war dieses Metal-Festival in Wladiwostok. 240 000 Leute. Statt Roadies schirmte ein Bataillon schwerbewaffneter Soldaten die Bühne ab. Hab ich schon verstanden, sibirische Metal-Szene, da ist echt Strom in der Luft." Wie? Und das war der schönste Moment? "Der kam, als all diese harten Typen in schwarzem Leder, überall Metallstäbe im Gesicht, mitgegrölt haben: Je veux d'l'amour, d'la joie, de la bonne humeur. Das war großes Kino." Wie sie das ganz kurz vorspielt, dieses sibirische Postmetalpunkpulkgehopse mit fröhlichem Chanson, das ist großes Kino.

Apropos Kino: Man hat bei Zaz nie das Gefühl, dass sie eine Rolle spielt. Und man glaubt ihr, wenn sie sagt, das Unangenehmste am Erfolg sei der Ruhm. Ursprünglich wollten wir für diesen Text spazieren gehen im dritten Arrondissement. Zaz sagte dann, da könne man sich eh nicht unterhalten, sie wird einfach dauernd angequatscht auf der Straße. Also findet das Treffen im leeren zweiten Stock des Cafés statt.

Nun klingt es immer auch kokett, wenn sich berühmte, erfolgreiche Menschen über Ruhm und Erfolg beklagen. Aber zum einen klagt sie gar nicht, sondern stellt nur fest. Zum anderen ist sie auch ohne Ruhm und Erfolg sehr gut klargekommen.

Zwei Jahre lang war sie Straßenmusikerin in einem Freundestrio, an einem kleinen Platz hinter der Bastille, "das war mit die beste Zeit meines Lebens". (Nein, das bedeutet nicht, dass sie bettelarm war, sie stammt aus bürgerlichem Hause, es gab also immer ein Netz, und sie hat ja in jungen Jahren auch ganz brav am Konservatorium in Tours studiert.)

Sie war Frontfrau einer spanischen Band und einer Jazz-Combo, lebte in besetzten Häusern oder bei Freunden und hat lange nachts in einem Cabaret gesungen. Eine frühe Tournee führte sie bereits durch Sibirien.

Das sich Durchschlagen wird bei ihr betont. Doch der Ruhm kam anders

Sibirien! Klingt alles ein bisschen wie hierzulande bei Brass Banda, natürlich nicht von der Musik her, das ist nicht zu vergleichen. Aber barfuß und unplugged in Fußgängerzonen aufzutreten, durch Sibirien zu touren und dann das authentisch freie Leben in der Musik zu beschwören, das ähnelt stark dem bayerischen Bläserquintett. Und noch was erinnert daran: Auch Brass Banda ist nach ersten Erfolgen zu einem großen Label gewechselt. Zaz ist heute bei Warner. Da macht man dann eben Musik mit dem guten alten Quincy Jones.

Andererseits könnte man die musikalische Biografie von Zaz vielleicht auch anders erzählen: In den Porträts wird meist der alternative Aspekt, dieser authentische Straßenmusikerappeal, das sich Durchschlagen betont. Dass der Ruhm dann aber ganz anders kam, wird in den meisten Texten unterschlagen: Zaz machte mit bei einem Pop-Casting im Fernsehen. Danach wurde ihr "Je veux" auf den Leib geschrieben, das Album, das zugleich so seidig sanft ins Ohr läuft und mit lebenstechnischem Alternativ-Mehrwert aufgeladen ist.

Aber vielleicht ist das auch ungerecht. Schließlich hat sie von all dem Geld, das sie plötzlich verdient, kein Auto und kein Haus gekauft, sie lebt bis heute in ihrem alten, kleinen Appartement. Aber was macht sie denn dann mit dem ganzen Geld? "Alles Colibri geben."

"Ich weiß", sagt der Kolibri, "aber ich mach halt meinen Teil"

Da denkt man dann als Deutscher schon, man hat sich verhört. Welcher Kolibri? Hat die einen Vogel? "Schau, da ist dieser desaströse Waldbrand. Alle Tiere fliehen. Nur der Kolibri fliegt ihnen entgegen, ein paar Tropfen im Schnabel. Die anderen Tiere machen sich im Weglaufen lustig, was soll der Scheiß, dein einer Tropfen. ,Ich weiß', sagt der Kolibri, ,aber ich mach halt meinen Teil.' Das ist Colibri, eine ökologische Organisation für eine bessere Welt."

Klingt nach weichgespültem Weltverbesserungsdings? Mag sein, aber nach allem, was zu recherchieren war, gibt Zaz tatsächlich einen sehr großen Teil ihres Einkommens an die Organisation. Und es geht im Gespräch auch viel um das große Ganze. Das falsche Schulsystem. Das entfremdete Leben. Die falsche Wirtschaftspolitik. Sein oder Nichtsein.

Jetzt aber doch noch mal Seine oder nicht Seine. "Paris". Das neue Album. Schließlich winken im Hintergrund schon die Mitarbeiter von Warner, weil Zaz weiter soll, zum nächsten Termin. Gut, wer hat denn die elf Songs ausgesucht? "Ich!" Und dass das Ganze mit "Paris sera toujours Paris" anfängt? "Das war mir sehr wichtig. Wir sind nicht im Krieg, aber den Leuten zu sagen, dass das Leben weitergeht, auch wenn es dunkel zu sein scheint. . . Auch wenn Marine Le Pen die Wahlen gewinnen sollte. Paris sera toujours Paris."

Wenn Sie diese Songs nicht hören können, melden Sie sich bitte bei Spotify an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: