Sachbuch:Leicht ist schwer was

Udo Di Fabio stellt in Berlin sein Buch "Schwankender Westen" vor. Harald Schmidt hilft dabei, dem Publikum das Nachdenken zu ersparen. Schade.

Von Gustav Seibt

Udo Di Fabio war Richter am Bundesverfassungsgericht. Harald Schmidt war der erste deutsche Late-Night-Talker. Die "Hertie School of Governance", eine Privatuniversität in Berlin, war mal ein Vortragssaal der DDR. Und jetzt treffen sich an diesem Ort Di Fabio und Schmidt, um ein Buch des Staatsjuristen einem undefinierbar gemischten Publikum - Lehrer? Anwälte? - vorzustellen.

Das Buch handelt vom "Schwankenden Westen" und will zeigen, "wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss" (Verlag C. H. Beck). Erst redet der Richter, dann platziert Harald Schmidt seine erste Pointe. Noch nie habe er so etwas gemacht und sich daher für eine radikale Technik entschieden: "Ich habe das Buch gelesen." Zunächst den Titel: "Wer schwankt, ist noch nicht gefallen." Und dann bleibt es spannend: "Wenn er fällt, wohin stürzt er dann?" Außerdem müssen hohe Gebäude etwas schwanken, den Luftströmungen folgen, um stehen zu bleiben. Welcher Professor wäre nicht glücklich, mit so lässigem Griff ins Klavier eingeführt zu werden?

Vorher hatte Di Fabio einen sonderbar defensiven Kurzvortrag über seine Thesen gehalten. Man solle sich die Thesen anhören, das Buch brauche man dann nicht unbedingt zu lesen. Und das war die geheime Spielanleitung des Abends: Es den Zuhörern vor allem leicht machen. Nachhaltigkeit? Ein Begriff aus der Kameralistik des 18. Jahrhunderts. Christian Wolff - nicht der Darsteller aus "Forsthaus Falkenau", sondern ein Aufklärungsphilosoph aus dem 18. Jahrhundert. Wenn eine Pädagogik nach Art von Elyas M'Barek angezeigt ist, dann muss Harald Schmidts Diagnose zutreffen: Bildungsferne Schichten, das seien heute die Ärzte!

Dabei lässt sich Di Fabios Vorstellung vom "Westen" durchaus verständlich machen. Wie in Heinrich August Winklers monumentaler "Geschichte des Westens" geht es nicht um einen Weltteil, sondern um ein Ideenkonglomerat und ein Gesellschaftsmodell. Wagen wir die knappste Vereinfachung: Winkler konstruiert den Westen als Ort der Gewaltenteilungen, zwischen Religion, Gesellschaft und Staat, innerhalb des Staates zwischen Legislative und Exekutive, mit der daraus folgenden Herrschaft des säkularen Rechts. Das ist der Rahmen für Menschenrechte, repräsentative Demokratie und Meinungsfreiheit. Bei Winkler beginnt das mit dem Rückzug des monotheistischen Gottes aus der Welt schon bei Moses im Alten Testament.

Das ist so witzig, als sei es von Harald Schmidt. Es ist aber von Metternich

Di Fabio konstruiert den Westen vom Individuum, von der Menschenwürde aus. Die Menschenwürde, wie Humanismus, Renaissance und Aufklärung sie immer reicher definierten, dabei Schönheit und Vernunft zusammendenkend, liegt schon dem Grundprinzip der bürgerlichen Gesellschaft, der Vertragstreue, zugrunde. Verträge sind Anerkennungsverhältnisse, sie begründen auch die Freiheit im Staat. Auch Di Fabios humanistische Konstruktion des Westens hat einen religionsgeschichtlichen Hintergrund, denn die Menschenwürde hat auch etwas zu tun mit der Gottesebenbildlichkeit der christlichen Schöpfung.

Was hat das mit uns zu tun? Di Fabios Buch wurde erkennbar fertig, als die Griechenlandkrise noch brodelte - die Sorge des Staatsjuristen gilt vor allem gebrochenen Verträgen im System des Euro. Inzwischen stehen andere Verträge zur Disposition, die zum Asylrecht. Prinzipien aber sind drehbare Geschütze, man kann sie in alle Richtungen wenden. Das ist so witzig, als sei es von Harald Schmidt - es ist aber von Metternich.

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