Sachbuch:Keine Frage der Position

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Früher wurde Respekt gezollt aus Gehorsam und Höflichkeit, heute muss man ihn sich verdienen. Autorin Elke Reichart ist einer Begriffsverschiebung auf der Spur

Von Barbara Hordych

Respekt erhält nur der Lehrer, der ihn auch einfordert!" resümiert Luca Kochendörfer in seinem Essay "Warum wir manche Lehrer respektieren und andere nicht". Wenn etwa eine Aufgabe als Pflicht deklariert werde, dann müsse sie auch eingefordert werden. "Sonst ist das Verhalten des Lehrers denjenigen gegenüber respektlos, die sich die Arbeit gemacht haben. Und er kann sich sicher sein, dass er es künftig auch von denen, die er auf diese Weise missachtet hat, mit gleicher Münze heimgezahlt bekommt." Luca studiert heute Jura, seine Überlegungen im Rückblick auf seine Gymnasialzeit im Münchner Norden sind nachzulesen in Elke Reicharts neuem Buch "Was heißt hier Respekt?". Darin spürt die Starnberger Autorin in zwanzig Interviews, Exkursen und Reportagen den zahlreichen Facetten dieses Begriffs nach.

Die klug hinter- und gegeneinander montierten Passagen lesen sich lebendig, authentisch und informativ, rücken Auffassungen aus ganz unterschiedlichen Berufen und Lebenswelten ins Blickfeld: Zu Wort kommen eine Krankenschwester und ein Herzchirurg, ein Schüler und eine Lehrerin, ein Islamdozent und eine Bischöfin, eine junge Single-Frau auf Partnersuche in Datingportalen und ein Paartherapeut, der in seiner Praxis erlebt, "dass die großen Themen des Lebens letztlich vom Internet unberührt bleiben". Denn trotz der riesigen Auswahl an Kontakten gehe es, sobald die Partnerschaft "real" werde, "immer darum, jemanden zu treffen, dem man vertrauen kann und der einen respektiert".

"Respekt auf dem Platz holt man sich definitiv durch Leistungen" lautet die Erfahrung von Philipp Lahm (re.), hier im Zweikampf mit Michael Bradley. (Foto: Gebert/dp)

Insbesondere die neuen Kommunikationsmittel sorgen für Missverständnisse, hat Elke Reichart bei Diskussionen mit jungen Erwachsenen erfahren. "Als vor einigen Jahren Facebook und Freundschaften in Zeiten des Internets mein Thema waren, las ich viel an Schulen. Und da tauchte der Begriff des mangelnden Respekts immer wieder und immer öfter auf." Beklagt wurden Unhöflichkeit und Unverbindlichkeit angesichts der vielen Möglichkeiten, Termine mit dem Partner über Handy, SMS, WhatsApp oder E-Mail kurzfristig zu verschieben oder gleich ganz abzusagen. "Für manche ist es bereits respektlos, wenn eine auf dem Handy mit zwei blauen Häkchen als ,gelesen' markierte Nachricht vom Gegenüber nicht sofort beantwortet wird", sagt sie auf der Frankfurter Buchmesse über die Entstehungsgeschichte von "Was heißt hier Respekt?" (dtv-Reihe Hanser).

Zumindest eines kann festgehalten werden: Zwar stellt sich jeder unter Respekt etwas ganz Bestimmtes vor, das muss aber nicht unbedingt mit den Erwartungen seiner Mitmenschen übereinstimmen. Das erläutert der Hamburger Psychologe und "Respektforscher" Tilman Eckloff in zwei theoretischen Kapiteln, in denen er unter anderem darlegt, dass im Hinblick auf Respekt eine Begriffsverschiebung in unserem Wertesystem stattgefunden habe. Während viele Ältere Respekt mit Gehorsam oder Höflichkeit gleichsetzen, betrachten die Jüngeren Respekt als etwas, was man sich erst verdienen muss. Oder, wie es Tilman Eckloff zusammenfasst: "Heute gibt es nur noch wenig durch die Position garantierten Respekt - Anerkennung muss man sich verdienen". Und wie? Natürlich müsse ein Lehrer sein Fach selbst für wichtig halten und sich in seinem Gebiet auskennen, meint Student Luca.

Ihr neues Buch widmet die Journalistin und Publizistin Elke Reichart dem Thema "Respekt". (Foto: Thomas Degen)

Und Sabine Behrendt, die als Betreuungslehrerin junge Referendare ausbildet, hält einen strukturierten Unterricht, verbindliche Regeln und klare Konsequenzen für unverzichtbar. Nicht zu vergessen den "Selbstrespekt", den der Sozialpsychologe Dieter Frey als Achtung vor sich selbst anmahnt. Auch wenn es für Vorgesetzte "unbequem" klingt, gilt laut Eckloff mittlerweile die Regel: "Wer heute sein Amt nicht mit persönlich verdientem Respekt ausfüllen kann, der merkt recht schnell, dass ihn sein Status nicht lange schützt".

Eine Erfahrung, vor der auch Fußballtrainer nicht gefeit sind. So erzählt Philipp Lahm: "Als erstes tastet man sich ab, ist zurückhaltend, bringt dem Trainer jedoch einen Vorschuss an Respekt entgegen. Später analysiert man dann das Fachliche, das Inhaltliche. Wenn er gut ist, dann bekommt er viel Respekt von mir." Und wenn nicht . . .?

Was heißt hier Respekt? , Lesung, Mittwoch, 21. Oktober, 19.30 Uhr, Casino des Bayerischen Yachtclubs, Starnberg, Nepomukweg 10. Eintritt frei, Anmeldung unter 081 51/32 38

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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