Russland:Grinsender Mephistopheles

Russland: Diese Kunst empfinden orthodoxe Aktivisten als Gotteslästerung: "Die Hypostasen" von Nikolaj Silis.

Diese Kunst empfinden orthodoxe Aktivisten als Gotteslästerung: "Die Hypostasen" von Nikolaj Silis.

(Foto: Manege)

Nur 13 Euro Strafe müssen orthodoxe Vandalen für Zerstörungen in einem Moskauer Museum bezahlen - obwohl der Schaden erheblich größer ist. Dahinter steckt, wie bereits andere Fälle zeigen, ein System.

Von Tim Neshitov

Wadim Sidur gehört zu jenen Bildhauern in Russland, die man kennt, auch wenn man sich nicht für die Bildhauerei interessiert. Er hatte eine bewegte Lebensgeschichte, überlebte eine schwere Verletzung im Krieg. 1944 flog ihm eine Kugel direkt ins Gesicht und er trug den Krieg dann sein Leben lang zur Schau. Er sah aus, als käme er gerade von einem schlechten Zahnarzt. Er starb 1986, ohne je eine größere Ausstellung seiner Werke erlebt zu haben, denn diese waren sowjetischen Zensoren mal zu "pazifistisch", mal zu "formalistisch". In Wahrheit war Sidur ein freier Denker und hasste jede Art von Totalitarismus. Im Ausland gab es zur Sowjetzeit mehr als dreißig Sidur-Ausstellungen, Heinrich Böll und Samuel Beckett waren Fans. Heute stehen seine Skulpturen in Kassel ("Den Opfern der Gewalt"), Düsseldorf ("Der Mahner"), Berlin ("Treblinka"), Princeton ("Albert Einstein"). In Moskau gibt es seit einem Jahr ein Sidur-Museum.

Zusammen mit Nikolaj Silis und Wladimir Lempert gründete Sidur nach Stalins Tod die Vereinigung Less, die heute jeder kennt, der sich für russische Bildhauerei interessiert. Diese Kunst - russische Kenner sprechen von "Keller-Nonkonformismus", da Sidurs Atelier sich in einem Keller befand - beschäftigte sich nicht zuletzt mit den Fragen organisierter Religion. Selbstverständlich auf eine distanzierte, skeptische Art, der jedoch Respekt innewohnte im Gegensatz zur antireligiösen Haltung sowjetischer Zensoren.

Heute stößt diese Kunst orthodoxen Aktivisten übel auf. Im August stürmten junge Männer und Frauen der Bewegung "Der Wille Gottes" eine Ausstellung mit den Werken von Sidur und Silis in der Manege, einem Ausstellungszentrum direkt hinter dem Kreml. Sie zertrampelten einige Linolschnitte, die sie als Gotteslästerung empfanden, und schrien, die Ausstellung verletze ihre Gefühle und gehöre geschlossen. Jemand filmte und stellte das Video ins Internet. Das Sicherheitspersonal des Museums konnte die Eindringlinge von den Skulpturen fernhalten, bis die Polizei kam.

Russische Museen sind auf private Sicherheitsunternehmen angewiesen - die Polizei hilft nicht

Es sieht nun so aus, als würde dieser Übergriff für die militanten Gläubigen kein juristisches Nachspiel haben. Zwei von ihnen mussten je 1000 Rubel administrative Strafe zahlen (zirka 13 Euro, wobei Währungskurse seit der Annexion der Krim verrückt spielen). Der Anführer der Gruppe, Dmitrij Zorionow, wurde gar nicht belangt. Das Museum beziffert den materiellen Schaden auf 1,1 Million Rubel und forderte am Donnerstag, dass Zorionow und seine Leute nach dem Vandalismus-Paragrafen des Strafgesetzbuchs belangt werden. Die Staatsanwaltschaft hat sich aber bis jetzt geweigert, überhaupt ein Strafverfahren zu eröffnen. Die Frist dafür läuft am Sonntag aus. Die Ausstellung wurde plangemäß am 6. September geschlossen.

In Sankt Petersburg zerstörte ein professioneller Bergsteiger Ende August ein 105 Jahre altes Relief an der Fassade eines Hauses im Stadtzentrum. Es zeigte einen grinsenden Mephistopheles und erinnerte an den Opernsänger Feodor Schaljapin, der in der Rolle des Mephistopheles brillierte. Der Bergsteiger ging später zur Polizei und sagte aus, er habe für die Tat 5000 Rubel kassiert, von einem Auftraggeber, den er nicht nennen möchte. Der sehr fromme Lokalabgeordnete Andrej Breus, der während der Tat an Ort und Stelle gesichtet wurde und in dessen Handy die Nummer des Bergsteigers gespeichert war, versicherte, er sei da nur spazieren gewesen.

Vom 1. November an werden Russlands Museen schlechter geschützt werden als bis jetzt. Bei der Polizei wird gespart, 45 000 Stellen entfallen. Die Museen sind dann ausschließlich auf private Sicherheitsfirmen angewiesen, die viel Geld kosten. Entsprechend verunsichert sind die Museumsdirektoren.

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