Russische Literatur:Ein Löffel Luft

Bilder Pferdesuppe

Yaroslav Schwarzstein findet originelle Perspektiven.

(Foto: Abbildung aus dem besprochenen Band)

In Vladimir Sorokins Novelle "Pferdesuppe" bietet ein Mann viel Geld, um Olga beim Essen zuzuschauen.

Von Tobias Lehmkuhl

Ein paar junge Leute fahren von der Sommerfrische auf der Krim zurück nach Moskau. Im Speisewagen des Zuges setzt sich ein unansehnlicher Mann zu ihnen an den Tisch und bietet einer von ihnen, der Musikstudentin Olga, viel Geld dafür, dass er sie beim Essen betrachten darf. Man lacht über den Perversling, aber am Ende geht Olga auf sein Angebot ein. Mehr als das: Fortan treffen sich die beiden einmal im Monat, und während Olga isst, sinkt der Mann auf die Knie und brüllt ekstatisch in ein Kissen hinein.

Diese seltsame Liaison beginnt in Breschnew-Zeiten und setzt sich bis in die Ära Jelzin fort, als ein paar Männer das Tafelsilber des neuen Russlands unter sich aufzuteilen beginnen. Einer von ihnen ist eben jener Gourmet-Voyeur namens Burmistrow, der während der Sowjetzeit sieben Jahre in einem Straflager saß und dort jeden Tag nichts anderes als Pferdesuppe zu essen bekommen hat. Je mächtiger er nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird, desto weniger findet Olga bei den monatlichen Treffen auf ihrem Teller vor. So löffelt sie irgendwann Luft in sich hinein und lacht noch. Bis sie merkt, dass sie auch an den übrigen Tagen nichts anderes mehr zu sich nehmen kann als Luft.

Vladimir Sorokins Novelle ist nur kurz, aber sie hat es in sich: Sie rast schneller dahin als ein Zug durch die russische Steppe, sie entfaltet eine starke allegorische Dimension und bleibt bis zum spektakulären Showdown doch extrem erdverhaftet.

Zweifellos könnte dieser Text auch für sich allein stehen. Die zahlreichen aufwendigen Illustrationen, die Yaroslav Schwarzstein für die im kleinen Berliner Verlag Ciconia Ciconia erschienene Ausgabe geschaffen hat, machen "Pferdesuppe" allerdings nicht nur zu einem bibliophilen Schmuckstück, sie verstärken die Eindrücklichkeit des Textes. Das Grelle hat hier ebenso seinen Platz wie der Ekel. Schwarzstein überrascht immer wieder mit originellen Perspektiven, mit extremen Nahaufnahmen, geschickt gewählten Ausschnitten und einem großen Gespür für den Rhythmus, was die Anordnung und das Format der Bilder betrifft. Anders als im Fall Olga/Burmistrow kann man, was Sorokin und Schwarzstein angeht, von einem sehr glücklichen Zusammentreffen sprechen.

Vladimir Sorokin: Pferdesuppe. Mit Bildern von Yaroslav Schwarzstein. Übersetzt von Dorothea Trottenberg. Ciconia Ciconia Verlag, Berlin 2017. 156 Seiten, 34,90 Euro.

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